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Positionspapier zur Aussenwirtschaftsstrategie 2024-2028
Dieses Positionspapier ist der Beitrag für die strategische Ausrichtung der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik, zeigt auf, wie der Erfolg nachhaltig gesichert und gestärkt werden kann und bildet die Grundlage für ergänzende Positionspapiere zu Spezialfragen der Aussenwirtschaftspolitik.
18.07.2023
1. Zielsetzung
Der Erfolg der schweizerischen chemisch-pharmazeutischen Industrie basiert in hohem Masse auf der weltweiten Vermarktung ihrer innovativen Produkte. Mehr als 98% ihrer Produkte werden exportiert. Die chemisch-pharmazeutische Industrie trägt rund 50% zum Schweizer Gesamtexport bei und ist als grösste Exportindustrie der Schweiz deshalb weltweit auf den Marktzugang, auf den starken und durchsetzbaren Schutz des geistigen Eigentums sowie auf den wirksamen Schutz ihrer Direktinvestitionen angewiesen.
Dieses Positionspapier
- ist der Beitrag von scienceindustries für die strategische Ausrichtung der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik;
- zeigt insbesondere auf, wie die Schweiz den nachhaltigen Erfolg ihrer chemisch-pharmazeutischen Industrie durch aussenwirtschaftspolitische Instrumente sichern und stärken kann, und
- bildet die Grundlage für ergänzende scienceindustries-Positionspapiere zu Spezialfragen der Aussenwirtschaftspolitik (z.B. zur Europapolitik, zu den WTO-Verhandlungen, zu Freihandelsabkommen, zur Biodiversität usw.).
2. Aussenwirtschaftspolitik aus der Sicht von Chemie/Pharma/Life Sciences
2.1 Ziel: Unterstützung und Stärkung der Innovationsstrategie der Unternehmen
Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie verfolgt eine konsequente Spezialisierungs- und Innovationsstrategie. Diese verlangt von den Unternehmen anhaltend hohe Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen. Aus diesem Grund wendete die chemisch-pharmazeutische Industrie im Jahr 2021 insgesamt CHF 6.6 Mrd. für betriebseigene Forschung und Entwicklung in der Schweiz auf, was einer Steigerung von 46% gegenüber 2006 entspricht. Damit steuert die chemisch-pharmazeutische Industrie 40% an den Gesamtaufwand für Forschung und Entwicklung in der Schweiz bei.
Solche langfristigen Investitionen lassen sich nur in einem Umfeld mit weltweit diskriminierungsfreiem Marktzugang und starkem und durchsetzbarem Schutz der Rechte am Geistigen Eigentum sowie der Direktinvestitionen wirtschaftlich rechtfertigen. Aus Sicht von scienceindustries soll der Staat seine Aussenwirtschaftspolitik deshalb konsequent zur Unterstützung und Stärkung dieser unternehmerischen Innovationsstrategie einsetzen. Dazu sollen die Stärken der Schweiz im Ausland voll ausgenützt werden.
2.2 Forderungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie
Weltweiter Marktzugang. Der möglichst ungehinderte Zugang zu ausländischen Märkten ermöglicht der Industrie die Nutzung ihres Innovationsvorsprungs und der kostensenkenden Skaleneffekte in der Produktion in der Schweiz. Soweit Produkte beim Grenzübertritt regulatorische Anforderungen erfüllen müssen, sollen diese entweder international harmonisiert oder gegenseitig anerkannt werden. Der Marktzugang soll rechtlich abgesichert und im Vergleich zu Mitbewerbern aus Drittstaaten besser oder zumindest diskriminierungsfrei sein.
Weltweite Anerkennung der Innovationsleistung. Die eigenen Innovationsleistungen sind durch einen starken und weltweit möglichst einheitlichen und durchsetzbaren Schutz der Rechte am Geistigen Eigentum in all seinen Formen anzuerkennen. Dies erlaubt der Industrie die hohen unternehmerischen Risiken einzugehen, die mit Investitionen in Forschung und Entwicklung erfahrungsgemäss verbunden sind.
Weltweiter Schutz der Investitionen. Der durchsetzbare rechtliche Schutz von Investitionen gegen eigentumseinschränkende Massnahmen (z.B. Enteignung) ist eine wichtige Voraussetzung für eine starke Präsenz auf internationalen Wachstumsmärkten.
Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung. Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie bekennt sich zur nachhaltigen Entwicklung in ihren drei Dimensionen (ökonomisch, ökologisch und sozial). Ein möglichst freier Handelsaustausch zwischen den Ländern fördert die nachhaltige Entwicklung durch seine wohlstandssteigernden Wirkungen am besten.
3. Instrumente der Aussenwirtschaftspolitik
3.1 Multilaterale Instrumente
Für die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie sind die multilateralen Verträge, insbesondere im Rahmen der WTO, das effizienteste Instrument für den gegenseitigen Zollabbau, die Vereinfachung der Handelsverfahren sowie die Gewährleistung eines starken und einheitlichen Schutzes der geistigen Eigentumsrechte. scienceindustries spricht sich deshalb mit Präferenz für den Einsatz multilateraler Instrumente aus.
WTO-Verhandlungen. Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie setzt sich konsequent für die Verbesserung des weltweiten Marktzugangs und die Stärkung des multilateralen WTO-Systems ein. Folgende Ziele sollen zu einem wirtschaftlich relevanten Abschluss gebracht werden:
- die rasche Abschaffung bzw. Senkung aller Zölle in den Kapiteln 28 bis 39.14 (vorzugsweise durch eine Nullzollsektor-Initiative Chemie),
- mindestens der Erhalt des bestehenden TRIPS-Schutzniveaus und
- die Verhinderung neuer Handelsbeschränkungen.
Des Weiteren soll die internationale Standardisierung von Regularien und Registrierungen vorangetrieben werden.
WTO-Pharmanullzollabkommen. Das WTO-Pharmanullzollabkommen ist für die chemisch-pharmazeutische Industrie von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung. Es regelt den zollfreien Verkehr von pharmazeutischen Produkten sowie einer Reihe von Zwischenprodukten zwischen den derzeitigen Abkommensländern (EU-Mitgliedstaaten, Japan, Kanada, Macao, Norwegen, Schweiz und den USA). Die Komplexität und der Zeitbedarf für die Revisionen dieses Abkommens, haben die Notwendigkeit einer Vereinfachung des Update-Verfahrens durch ein unabhängiges Regelverfahren zur Integration von Materialien in das Abkommen erneut gezeigt. Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie setzt sich weiterhin für eine Vereinfachung des Update-Verfahrens für die INN-Stoffe (pharmazeutische Aktivsubstanzen) ein. Dementsprechend ist die automatische Aufnahme der von der WHO publizierten INN-Stoffe durch die Teilnehmerstaaten zu beschliessen.
Health Care Products Initiative (Ottawa Gruppe). Die in der Corona-Pandemie vorgeschlagene Initiative soll im Rahmen der WTO weiterverfolgt werden. Eine Health Care Products Initiative+ soll im Gegensatz zur ursprünglichen Initiative nicht nur in Zeiten einer grassierenden Pandemie zur Anwendung kommen, sondern bereits in normalen Zeiten ihre Wirkung entfalten, indem sie die Zusammenarbeit unter den Teilnehmerstaaten durch Stärkung der Lieferketten verbessert und so die Resilienz aller Teilnehmerstaaten erhöht.
Plurilaterales Nullzollabkommen für Chemie/Pharma. Als Alternative zur Nullzoll-Sektorinitiative Chemie, die der Weltchemieverband ICCA bereits vor Jahren vorgeschlagen hat, unterstützt die chemisch-pharmazeutische Industrie weiterhin die Idee eines plurilateralen Nullzollabkommens für Chemie/Pharma. Dieses Abkommen käme nur zustande, sofern sich die wichtigsten Produzentenländer (u.a. China, die USA, Indien, Brasilien, die EU) diesem anschliessen. Das plurilaterale Nullzollabkommen Chemie/Pharma würde auch das WTO-Pharmaabkommen ablösen und das entsprechende komplizierte und zeitraubende Update-Verfahren erübrigen.
WTO-Reform.2] Die WTO-Modernisierungsdiskussionen sollten eine neue Verhandlungsagenda entwickeln, die die Chancen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts widerspiegelt und die Schwellenländer einbezieht. Eine solche Agenda sollte zudem die Verbesserung des WTO-Streitbeilegungsverfahrens, die Unterstützung plurilateraler Initiativen, eine verstärkte Einbindung von Interessengruppen sowie die Erhöhung der Transparenz bei handelsbezogenen Massnahmen und die vollständige Umsetzung des WTO-TBT-Übereinkommens beinhalten. Gerade letztere ist für die globale chemisch-pharmazeutische Industrie von besonderer Bedeutung.
3.2 Bilaterale Instrumente
Bilaterale Verhandlungen sind einzusetzen, um eine gegenseitige und über die multilaterale Einigung hinausgehende Verbesserung des Marktzugangs bzw. des Schutzes der Rechte am Geistigen Eigentum zu erreichen. Sie können schweizerischen Exporteuren gegenüber ihren Konkurrenten aus Drittstaaten einen Vorteil verschaffen oder zumindest Diskriminierungen vermeiden, wenn diese bereits über ein bilaterales Abkommen verfügen.
In den Verhandlungen mit der EU spricht sich scienceindustries für eine pragmatische Politik der bilateralen Kooperation in ausgewählten Bereichen und gegen eine institutionelle Einordnung der Schweiz (z.B. durch einen Beitritt zur EU) aus. Dabei stehen der Erhalt bzw. die Aktualisierung der bestehenden Abkommen und die Weiterentwicklung der Marktzugangsabkommen im Vordergrund.
Die bilateralen Instrumente können die multilateralen Verhandlungen nicht ersetzen, da ihr Geltungsbereich konzeptionell durch Ursprungsregeln festgelegt wird, deren Einhaltung und Kontrolle erhebliche administrative Kosten verursachen.
Freihandelsabkommen (FHA). scienceindustries unterstützt die Bemühungen der schweizerischen Behörden zur Schaffung eines Netzes von Freihandelsabkommen (innerhalb des EFTA-Verbundes oder bilateral). Für jedes einzelne FHA sollen die Verfahren zur Ursprungsbestimmung und Ursprungskontrolle möglichst einfach und vereinheitlicht sein. Das Schutzniveau beim Geistigen Eigentum soll dem schweizerischen Standard entsprechen. Die konkreten Forderungen der Industrie an FHA sind im Papier "Free Trade Agreements (FTA): Objectives of scienceindustries" nachzulesen.
Es ist wichtig, dass sich die Schweiz und ihre Partnerländer für ein starkes Patentrecht einsetzen. Auch im Rahmen von Freihandelsabkommen soll eine klare Position zur Sicherung von Patenten und anderen geistigen Eigentumsrechten bezogen werden. Eine Stärkung der bilateralen Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums kann als internationaler Referenzrahmen dienen und ermöglicht eine internationale Harmonisierung von Standards im IPR-Bereich.
Aus Sicht der schweizerischen Industrien Chemie Pharma Life Sciences sind jene Länder prioritäre FHA-Kandidaten, die für die Schweiz aus wirtschaftlicher Sicht – sei es aus Gründen des Marktzugangs oder des Schutzes des geistigen Eigentums – von hoher Bedeutung sind. Weiter sind diejenigen Länder relevant, mit denen wichtige Handelspartner der Schweiz (insbesondere die EU) ein FHA anstreben respektive bereits abgeschlossen haben.
Im bestehenden Netzwerk der Freihandelsabkommen fehlen bedeutende Handelspartner in Ozeanien, Eurasien und Afrika sowie in den Amerikas wie z.B. die USA, Australien, Taiwan, Neuseeland, Algerien (Verhandlungen ausgesetzt) und Nigeria (mit letzterem besteht eine Zusammenarbeitserklärung). Diese weisen heute eine aktuelle und/oder potenziell wirtschaftliche Bedeutung auf.
Ausgesetzte Verhandlungen (Algerien, Eurasische Zollunion) sollen, sobald die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme erfüllt sind, weitergeführt werden. Gemäss diesen zwei Kriterien sind bei anstehenden Verhandlungen von neuen Freihandelsabkommen folgende Prioritäten zu beachten:
Priorität 1 |
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Priorität 2 |
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Australien USA Mercosur** Indien** Thailand**
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Algerien** Malaysia** Neuseeland Vietnam** Nigeria* Pakistan*
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*Zusammenarbeitserklärungen/**Verhandlungen
Bestehende FHA der 1. Generation müssen modernisiert werden und den heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Die konkreten Forderungen der Industrie sind im Papier "Priorisierung der Nachverhandlung bestehender Freihandelsabkommen" nachzulesen.
Die Einhaltung der Menschenrechte sowie der Sozial- und Umweltstandards sollen in geeigneten multilateralen und plurilateralen Foren (z.B. ILO, UNO-Charta, OECD) behandelt werden. Der aktuelle Verhandlungsansatz des SECO mit der Integration eines Kapitels "Handel und nachhaltige Entwicklung" wird unterstützt.
Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA). Die schweizerische chemisch-pharmazeutische Industrie begrüsst die Bemühungen der Schweizer Behörden, mit wichtigen Handelspartnern möglichst umfassende MRAs abzuschliessen. Diese sind ein effizientes Instrument, um technische Handelshemmnisse aufgrund unterschiedlicher staatlicher Vorschriften abzubauen. Dabei sind jene Länder prioritäre MRA-Kandidaten, mit denen ein wichtiger Handelspartner der Schweiz (insbesondere die EU) bereits ein MRA abgeschlossen hat.
4. Schnittstellen zur Umwelt- und Sozialpolitik: Fördern der nachhaltigen Entwicklung
Die Aussenwirtschaftspolitik soll in erster Linie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stärken und den Wohlstand eines Landes steigern. Damit schafft sie die Voraussetzungen, um den sozialen Zusammenhalt in den verschiedenen Staaten zu verbessern und trägt zur nachhaltigen Entwicklung bei. Die Aussenwirtschaftspolitik hilft ausserdem mit, die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch auf ein dauerhaft tragbares Niveau zu senken.
Als Beitrag zur Diskussion über die bestmögliche Kohärenz der verschiedenen internationalen Regelwerke nimmt scienceindustries nachfolgend zu zentralen Fragen Stellung:
Product Requirement (Produktanforderungen). Die fortschreitende internationale Angleichung bzw. Harmonisierung von Anforderungen an Produkte erleichtert den internationalen Handel und ist durch die Behörden zu unterstützen. Die Vorschriften sollen sich auf wissenschaftliche Evidenz und anerkannte Risikobeurteilungen (risk-based assessment) abstützen.
Process and Production Methods PPMs (Anforderungen an Produktionsverfahren). Auf Grund der Komplexität und Diversität der Produktionsprozesse in der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist eine internationale Harmonisierung der Herstellverfahren weder möglich noch anzustreben. Solche Vorgaben behindern das Aufkommen neuer innovativer Produktionstechnologien.
Border Tax Adjustments (Grenzausgleichszölle). Die Mitgliedsunternehmen von scienceindustries bekennen sich zu Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Biodiversität, insbesondere im Rahmen der SDGs. Unterschiedliche Produktionskosten in verschiedenen Ländern infolge unterschiedlich strenger Umweltauflagen sollen nicht durch Ausgleichszölle ausgeglichen werden. CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen, wie im Rahmen des Grünen Deals der EU angedacht, beurteilt scienceindustries äusserst kritisch in Bezug auf deren WTO-Komptabilität und Praktikabilität. Die korrekte Zollhöhe liesse sich auf Grund der zahlreichen Produktionsmethoden administrativ nicht ermitteln. Zudem besteht je nach Ausgestaltung solcher Massnahmen die Gefahr, dass damit auf internationaler Ebene ähnliche Zölle erhoben werden und damit den Protektionismus verstärken und handelspolitischen Gegenmaßnahmen Vorschub leisten. Aus Sicht von scienceindustries ist eine multi- oder plurilaterale Lösung anzustreben.
Trade Measures to Achieve Environmental Objectives (Handelsmassnahmen zur Erreichung von Umweltzielen). Multilaterale Umweltabkommen sollen Handelssanktionen nur unter eingeschränkten Bedingungen (u.a. necessary, least trade restrictive, proportionate) vorsehen dürfen. Diese Kriterien sollen vorgängig durch eine Interpretation von Art. XX WTO festgelegt werden. Unilaterale Handelssanktionen zur Erreichung umweltpolitischer Ziele verletzten die internationalen Handelsregeln und müssen ausgeschlossen werden.
Bei Umsetzung dieser zentralen Forderungen bis 2028 ist scienceindustries überzeugt, dass die Industrien Chemie Pharma Life Sciences der Schweiz auch in Zukunft einen substanziellen Beitrag zur Stärkung der Schweizer Volkswirtschaft und somit zum Wohlstand beitragen können.