Dossiers - Antibiotikaresistenzen
Erforschung neuer Antibiotika fördern – aber wie?
09.01.2024
Seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts kann sich die Bevölkerung auf die Wirksamkeit von Antibiotika verlassen. Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesundheitswesens und helfen erfolgreich bei bakteriellen Infektionen, bei chirurgischen Eingriffen, Chemotherapien und anderen medizinischen Verfahren. Deren medizinischer Erfolg sowie die tiefen Preise führten aber über lange Zeit zu einem hohen Einsatz und damit einhergehender, beschleunigter Resistenzentwicklung der Bakterien. Wie kann diesem Problem begegnet werden?
In der Schweiz wurde der nationale Aktionsplan Strategie Antibiotikaresistenz (StAR) ins Leben gerufen, um die Herausforderung der Resistenzbildung anzugehen und dieser entgegenzuwirken. So wurde beispielsweise für das Antibiotika-Monitoring in der Tiermedizin das Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin (IS ABV) eingeführt. Über die Datenbank können der Einsatz von Antibiotika bei Heim- wie Nutztieren engmaschig verfolgt und je nach Berichtslage angemessene Massnahmen getroffen werden. Es hat sich dabei gezeigt, dass die Menge der verkauften Antibiotika in der Veterinärmedizin seit Jahren zurück geht.
Antibiotikaresistenzen sind indes ein globales Problem. Jedes Jahr sterben ca. 1.27 Millionen Menschen weltweit[1] an einer Infektion, die durch resistente Bakterien verursacht wurden. Die Todeszahlen zeigen jedoch nicht das gesamte Ausmass. Behandlungen von resistenten Infektionen erfordern oft mehrere Behandlungsversuche, die jeweils wiederum ihre eigenen Nebenwirkungen verursachen. Auch längere Aufenthalte im Spital oder gar auf der Intensivstation sowie eine längere Genesungsdauer können mit verstärkten Resistenzen einhergehen. Daraus ergeben sich vielfältige Folgen wie beispielsweise stetig steigende Gesundheitskosten bis hin zu volkswirtschaftlichen Verlusten aufgrund von Krankheit und Arbeitsunfähigkeit.
Weshalb lange keine neuen Produkte erforscht wurden
Es besteht ein dringender Bedarf an neuen wirksamen Antibiotika. Es fragt sich aber, warum gerade in diesem wichtigen Therapiegebiet in der jüngeren Vergangenheit relativ wenige Forschungsanstrengungen zu verzeichnen waren. Aus wissenschaftlichen Überlegungen ist die Entwicklung neuer, wirksamer Produkte nicht trivial und wenn eine vielversprechende Therapie entwickelt wird, so soll deren Wirksamkeit über eine möglichst lange Zeit erhalten bleiben. Dies bedingt einen restriktiven Einsatz des neuen Antibiotikums, womit die Entwicklung neuer Antibiotika langfristig gesehen für die Industrie wirtschaftlich ein Verlustgeschäft darstellt. Dabei geht es nicht nur um die Deckung der Kosten für Forschung und Entwicklung, sondern auch darum, dass das Arzneimittel nachhaltig im Markt gehalten werden kann. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, müssen neue, international abgestimmte Vergütungsmodelle entwickelt werden.
Anreize für die Entwicklung neuer Antibiotika
Es gibt verschiedene Ideen, wie Anreize zur Förderung der Entwicklung geschaffen werden können. In verschiedenen Staaten wird nach Möglichkeiten gesucht, wie die Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika gefördert und die Versorgungssicherheit verbessert werden können. Beispielsweise werden regulatorische Hürden gesenkt oder dafür gesorgt, dass die Höhe der Vergütung den Wert neuer Antibiotika für die Versorgung ihrer Gesundheitssysteme angemessen honoriert. Auch in der Schweiz gibt es Vorschläge, um Anreize zu schaffen – in diesem Falle sogenannte Pull-Anreizmodelle. Diese kämen nach der erfolgreichen Marktzulassung zur Anwendung und sollen die pharmazeutischen Unternehmen und Forscher motivieren, sich vermehrt für die Entwicklung von neuen, wirksamen Antibiotika zu engagieren.
scienceindustries sieht einen denkbaren Ansatz im Subskriptionsmodell: Dabei erhält die Herstellerin eines neuen Antibiotikums eine jährlich fixe Entschädigung, die es ihr erlauben soll, die Entwicklungskosten zu amortisieren und einen angemessenen Gewinn zu erzielen. Im Gegenzug verpflichtet sie sich zur Bereitstellung des neuen Antibiotikums im benötigten Umfang. Die Entkoppelung der Einnahmen vom Umsatz ermöglicht die Reservehaltung, was die Resistenzentwicklung einschränkte. Gleichzeitig würde ein Anreiz geschaffen, auch den kleinen Schweizer Markt mit neuen Antibiotika zu versorgen, ohne bewährte Produkte aus dem Markt zu verdrängen. Gemäss Rechtsexperten würde das Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Epidemiengesetz, EpG) bereits heute eine ausreichende Gesetzesgrundlage für das beschriebene Modell bieten. Ein Vorteil dieses Models wäre ausserdem, dass die Schweiz bei der Umsetzung von Pilotprojekten wie sie beispielsweise aktuell in England und Schweden aufgesetzt sind, anschliessen könnte.
Ein Schweizer Subskriptionsmodells müsste indes die internationalen Entwicklungen berücksichtigen und sich in diese einfügen. Entsprechend wären die Rahmenbedingungen für ein solches abzuwägen: Ein Schweizer Sonderweg gälte es auf alle Fälle zu vermeiden.
[1] C. J. Murray et al., “Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis,” The
Lancet, vol. 399, no. 10325, pp. 629–655, Feb. 2022, doi: 10.1016/S0140-6736(21)02724-0