Dossiers - Klima- und Energiepolitik
Gastkommentar in der NZZ: swissholdings, scienceindustries, swissmem
07.09.2023
«Klimazoll» – ungleich lange Spiesse für die Exportindustrie
Im eidgenössischen Parlament sind derzeit verschiedene Vorstösse hängig, welche die Einführung von CO2-Grenzausgleichsabgaben in der Schweiz fordern. Dieser sogenannte «Carbon Border Adjustment Mechanism» (kurz CBAM) soll verhindern, dass heimische Unternehmen infolge tieferer CO2-Abgaben in anderen Staaten benachteiligt oder CO2-intensive Betriebe ins Ausland verlagert werden. Was scheinbar positiv klingt, ist aus mehreren Gründen höchst kritisch für den exportorientierten Schweizer Produktionsstandort.
Die EU führt im Oktober 2023 einen derartigen CBAM ein. Nach einer Übergangsphase mit Dokumentationspflichten für die Unternehmern werden ab 2026 Abgaben auf dem CO2-Gehalt von Importen erhoben. Betroffen vom "Klimazoll" sind vorerst die Produkte Zement, Eisen, Stahl, Aluminium, Dünger, Wasserstoff und Strom. Weitere Produktegruppen wie beispielsweise organisch-chemische Produkte könnten folgen. Parallel dazu wird im Rahmen des Emissionshandelssystems die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten, sogenannte Gratiszertifikate, an diese Sektoren schrittweise reduziert.
Der Bundesrat hat Mitte Juni auf Basis eines Postulatsberichts empfohlen, dass sich die Schweiz dem EU-CBAM vorerst nicht anschliessen soll. Innerhalb der Welthandelsorganisation WTO ist hoch umstritten, ob solche CO2-Grenzabgaben internationale Handelsregeln wie beispielsweise das Diskriminierungsverbot verletzen und daher unzulässig sind. Die Schweiz als stark exportorientierte Volkswirtschaft ist besonders darauf angewiesen, dass sich die grossen Wirtschaftsräume USA, EU und China generell an die multilateralen Spielregeln halten. Es wäre fatal, als Land selbst diese Regeln zu verletzten und sich damit der Gefahr von Gegenmassnahmen wichtiger aussereuropäischer Handelspartner auszusetzen. Die exportorientierte Industrie begrüsst es deshalb, dass der Bundesrat in dieser zentralen Frage nicht vorprescht, sondern zunächst die Auswirkungen des EU-CBAM genau evaluieren will.
Unbestritten ist jedoch bereits heute, dass Schweizer emissionsintensive Betriebe als Folge der auslaufenden Gratiszertifikate – und somit steigender CO2-Kosten – starke Nachteile gegenüber ihrer Konkurrenz von ausserhalb der EU erleiden werden. Oft wird für eine Schweizer CBAM-Lösung deshalb das Bild der «gleich langen Spiesse» bemüht. Diese Darstellung greift jedoch zu kurz, denn der Schutz emissionsintensiver Betriebe verschlechtert im gleichen Zug die Wettbewerbsposition der wertschöpfungsstarken Schweizer Exportindustrie massiv. Für diese Firmen erhöhen sich nämlich CBAM-bedingt die Beschaffungskosten von Vorprodukten wie Stahl etc. Eigenen Berechnungen zufolge ist beispielsweise bei chemischen Produkten mit Preisaufschlägen von mindestens 10 Prozent zu rechnen. Da beim CO2-Grenzausgleich keine Rückerstattungsmöglichkeit bei der Ausfuhr in Drittstaaten vorgesehen ist, wäre die Wirtschaftlichkeit der Produktion in der Schweiz generell in Frage gestellt.
Die exportorientierte Industrie unterstützt die Pariser Klimaziele und hat sich zu Netto-Null bis 2050 bekannt. Studien zufolge ist der Effekt von CO2-Grenzabgaben auf das Klima als minimal – wenn nicht sogar als kontraproduktiv zu werten – etwa, wenn exportorientierte Firmen wegen CBAM-bedingt höheren Beschaffungskosten ihre Produktion ins Ausland verlagern. In Anbetracht dieser fragwürdigen Effektivität der CBAM-Massnahmen bei gleichzeitig hohen Risiken und Belastungen beurteilen unsere Verbände deren Einführung als kritisch. Wir setzen darauf, dass das Parlament dem Bundesrat folgt und keine voreiligen Schritte zur Einführung von «Klimazöllen» in der Schweiz unternimmt.
Für jene emissionsintensiven Schweizer Firmen, die schon heute wegen subventionierter Industrieenergiepreise in unseren Nachbarstaaten massiv unter Druck sind und die künftig wegen der Verschärfung der Klimapolitik hier und in der EU tatsächlich gravierende Wettbewerbsnachteile zu befürchten haben, müssen andere Lösungen gefunden werden. Dazu gehören insbesondere Dekarbonisierungstechnologien, die gezielt zu fördern sind – wie auch generell eine Technologieoffenheit, sodass Innovationen greifen können. Wir wollen diese Unternehmen am Standort Schweiz nicht verlieren. Sie leisten mit ihren Technologien einen zentralen Beitrag zum Klimaschutz und zur Kreislaufwirtschaft.
Denise Laufer, Mitglied der Geschäftsleitung, Swissholdings
Dr. Erik Jandrasits, Leiter Aussenhandel, scienceindustries
Dr. Jean-Philippe Kohl, Leiter Wirtschaftspolitik, Swissmem