Dossiers - Beziehungen zur EU
Christoph Franz, Roche: Innovation braucht die Bilateralen
scienceindustries hat mit Christoph Franz - dem Präsidenten des Verwaltungsrates von Roche - über die wirtschaftliche Bedeutung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU gesprochen.
26.05.2020
Die Schweiz unterhält mit der Europäischen Union (EU) eine Vielzahl an Beziehungen, die in rund 120 Vertragsabkommen geregelt sind. Wichtige Etappen sind das Freihandelsabkommen von 1972, die bilateralen Abkommen I von 1999 und die bilateralen Abkommen II von 2004.
1. Lieber Herr Franz, wie schätzen Sie die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU ein?
Ich halte die Beziehungen grundsätzlich für gut und partnerschaftlich. Die Gesprächsbereitschaft ist auf beiden Seiten gross und es gibt viel Verständnis auch für unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche. Die Schweiz liegt ja nicht nur geographisch mitten in Europa, sie ist mit der Europäischen Union auch auf vielerlei Weise eng verflochten. Ein gutes Beispiel ist der Handel. Der Austausch von Waren und Dienstleitungen ist beeindruckend und für beide Seiten von grosser Bedeutung: 52% der Schweizer Exporte (rund CHF 121 Mrd.) gehen in den EU-Raum. Umgekehrt stammen 70% der Schweizer Importe (rund CHF 142 Mrd.) aus der EU. (Zahlen für 2018)
Mit den Bilateralen Verträgen haben die Schweiz und die Europäische Union gemeinsam einen soliden formalen Rahmen für ihre Partnerschaft geschaffen, ohne eine EU-Mitgliedschaft der Schweiz. Jetzt ist ein Moment gekommen, diese zu modernisieren und wir begrüssen die Bemühungen des Bundesrates sehr, ein für beide Seiten akzeptables und für die Zukunft tragfähiges Rahmenabkommen zu verhandeln. Zurzeit ist keine realistische Alternative zum bilateralen Weg ersichtlich. Kein noch so umfassendes Freihandelsabkommen würde einen ähnlich guten Zugang zum EU-Binnenmarkt für die Schweiz sicherstellen.
2. Welche Vorteile haben diese Beziehungen für unser Land?
Die Verflechtungen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen haben sich organisch über viele Jahrzehnte entwickelt. Menschen bewegen sich frei und arbeiten in beiden Wirtschaftsräumen, Schweizer Firmen produzieren gezielt für den europäischen Markt und europäische Firmen genauso gezielt für den Schweizer Markt. Das alles würde nicht passieren, wenn es nicht von gegenseitigem Nutzen wäre, für die Wirtschaft und für die Menschen.
Der freie Personenverkehr, der Teil der Bilateralen Verträge I ist, erscheint mir dabei besonders wichtig. Dank der Personenfreizügigkeit können private Firmen und öffentliche Einrichtungen wie Universitäten die klügsten Köpfe der EU und EFTA-Länder laufend und unkompliziert in die Schweiz holen. Das ist nicht nur für die Roche sehr wichtig. Bei uns kommen z.B. in Basel über die Hälfte aller Mitarbeitenden aus der EU oder EFTA, die meisten aus Deutschland und Frankreich, und rund 11% aus anderen Staaten. Wir sagen ganz klar, dass wir auf Mitarbeitende aus der EU angewiesen sind, um hier in der Schweiz erfolgreich zu sein. Viele Unternehmen in der Schweiz sind so erfolgreich, dass wir als relativ kleines Land einfach die Nachfrage nach Arbeitskräften alleine aus der Schweiz nicht bedienen können.
3. Was würde der Wegfall der Personenfreizügigkeit für den Innovationsplatz Schweiz bedeuten?
Der Wegfall der Personenfreizügigkeit hätte für die Menschen, die Firmen und den Staat negative Konsequenzen. Es wäre schwieriger, die besten Talente in die Schweiz zu holen. Wir hätten dabei viel mehr Formalitäten zu bewältigen. Bürokratischen Mehraufwand einzuführen ist nie eine gute Idee. Das gilt ganz besonders für Krisenzeiten. Wie wichtig offene Grenzen sind, konnten wir bei der Corona-Krise beobachten. Für Unternehmen in der relativ kleinen Schweiz war die Abschottung eine grosse zusätzliche Belastung und nur für eine beschränkte Zeit tragbar. Und zum Glück durften die Menschen, die täglich über die Grenze zur Arbeit kommen, dies weiter tun.
Grosse Sorgen würde mir dann auch die Zukunft der Grundlagenforschung in der Schweiz machen. Schweizer Universitäten und Hochschulen leisten einen erheblichen Beitrag für den Innovationsplatz Schweiz. Eine vollständige Wiederaufnahme der Forschungstätigkeit nach der Corona-Krise sollte deshalb nicht durch zusätzliche, schädliche Forderungen aufgehalten werden. Ein Wegfall der Personenfreizügigkeit würde die Mobilität der Forschenden in beide Richtungen stark einschränken. Der enge Austausch und die Vernetzung zwischen Institutionen aus der Schweiz und aus Europa könnten kaum genauso intensiv weitergeführt werden wie heute.
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Ein Wegfall der Personenfreizügigkeit hätte aber auch negative Konsequenzen für die Forschungszusammenarbeit von Schweizer Universitäten und Hochschulen mit der EU. Denn das Abkommen über die Forschungszusammenarbeit ist Teil der Bilateralen Verträge I, die durch die sogenannte Guillotine-Klausel miteinander verbunden sind. Würde die Personenfreizügigkeit gekündigt werden, würde auch dieses Abkommen seine Gültigkeit verlieren. Als Konsequenz würden Schweizer Forschende keinen Zugang mehr zu den grenzüberschreitenden Projekten mit den besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der EU haben. Wenn keine EU-Fördergelder in die Schweiz fliessen würden, wäre der Schaden für den Forschungsstandort nicht nur finanzieller Natur. Die internationale Sichtbarkeit der Schweizer Spitzenforschung würde sinken, die Schweiz für akademische Talente deutlich weniger attraktiv werden. Zum Schaden für den Innovationsplatz Schweiz.
4. Welche weiteren Bereiche profitieren von den bestehenden bilateralen Verträgen?
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Natürlich ist es nur Eines von Vielen! Bevor ein Medikament aus der Schweiz exportiert werden kann, muss jede Charge (unter gleichen Bedingungen hergestellte Produktionseinheit) auf ihre Qualität hin geprüft und freigegeben werden. Unter den Bilateralen Verträgen I werden diese Kontrollen von allen EU-Staaten anerkannt und müssen deshalb in keinem EU Mitgliedsland wiederholt werden. Das gilt natürlich auch für die Medikamente, die in die Schweiz eingeführt werden. Sie werden nicht noch einmal kontrolliert.
Diese wechselseitige Anerkennung von Kontrollen würde es ohne die Bilateralen Verträge I nicht mehr geben. Dann müssten die Tests der Chargen für jedes einzelne EU-Land nochmals vollständig durchgeführt werden. Der bürokratische Aufwand für Firmen wie Roche und damit die Produktionskosten würden steigen. Das wäre schädlich für die Attraktivität der Schweiz als Produktionsstandort, da innerhalb der EU die wechselseitige Anerkennung der Tests weiterhin gegeben wäre.
Christoph Franz ist seit 2011 Roche Verwaltungsrat und leitet diesen seit März 2014. In seiner aktuellen Funktion bei der Roche widmet er sich vor allem der Strategieentwicklung und der Gesamtsteuerung des Unternehmens. Der studierte Wirtschaftsingenieur promovierte an der TU Darmstadt (Dr. rer. pol.) und war vor seiner Zeit bei Roche für Lufthansa, Swiss und die Deutsche Bahn tätig.