Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences
Gastbeitrag Allnews: Direktor Stephan Mumenthaler

Dossiers - Beziehungen zur EU

Gastbeitrag Allnews: Direktor Stephan Mumenthaler

Die Wiederbelebung des Erfolgsmodells Schweiz-EU

22.03.2024

Die "Bilateralen III" ermöglichen tragfähige Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner sowie Rechts- und Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen

Seit ihrer Gründung ist die Europäische Union (EU) der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz. Dies ist vor allem dem Binnenmarkt der EU zu verdanken, der über 450 Millionen Verbraucher und mehr als 20 Millionen Unternehmen umfasst. Doch seit dem Scheitern der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen im Jahr 2021 haben sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU merklich abgekühlt. Mit dem jüngst vom Bundesrat vorgestellten Entwurf eines Verhandlungsmandats scheint nun eine Normalisierung in greifbare Nähe zu rücken.

EU als wichtigster Handelspartner für die Schweizer Exportindustrie
Die chemisch-pharmazeutische Industrie bildet mit einem Anteil von über 49 Prozent an den Gesamtexporten das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Die Hälfte dieser Exporte findet ihren Weg in den EU-Markt, was die EU zur wichtigsten Abnehmerregion macht. Gleichzeitig stammen drei Viertel aller Importe von chemisch-pharmazeutischen Produkten aus der EU. Somit ist die EU nicht nur wichtigster Exportmarkt, sondern auch wichtigste Zulieferin von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigprodukten.

Angesichts dieser Tatsache ist der Abbau technischer Handelshemmnisse, insbesondere über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA), von entscheidender Bedeutung für die Schweizer Unternehmen. Es erleichtert den Marktzugang, senkt Kosten und reduziert administrativen Aufwand. Eine regelmässige Aktualisierung der MRA ist für die Exportindustrien zentral.

Forschung und Entwicklung profitieren von der Vernetzung mit Europa
Auch im Bereich Bildung, Forschung und Innovation ist die Schweiz auf die Zusammenarbeit mit der EU angewiesen. Der Ausschluss aus Horizon Europe und die herabgestufte Teilnahme an Forschungsprogrammen schaden unserer Innovationskraft. Dies beeinträchtigt nicht nur Forschung und Innovation, sondern erschwert auch die Gewinnung internationaler Spitzenforscher. Eine möglichst rasche Vollassoziierung an den EU-Forschungsprogrammen ist daher bedeutend für die Schweizer Forschung, die wirtschaftliche Innovation und die Attraktivität des Standorts Schweiz.

Die Personenfreizügigkeit spielt eine entscheidende Rolle für die forschungsintensiven Industrien. Der Fachkräftemangel in den MINT-Bereichen erfordert hochqualifizierte Arbeitnehmende aus dem EU-Raum. Ein Kollaps der Personenfreizügigkeit würde nicht nur den Fachkräftemangel verschärfen, sondern auch den Forschungs- und Innovationsbereich einschneidend treffen. Ausländische Arbeitskräfte sind bei den Mitarbeitenden mit Hochschulabschluss sowie in der Forschung und Entwicklung stark vertreten. Das Personenfreizügigkeitsabkommen muss daher unbedingt fortgesetzt werden.

Neues Stromabkommen stärkt die Versorgungsicherheit
Schliesslich ist auch das geplante Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU entscheidend für die Industrien Chemie, Pharma und Life Sciences, insbesondere angesichts der Erfahrungen während der Energiekrise im letzten Winter. Die engen Verbindungen der Strommärkte mit den Nachbarstaaten gewährleisten nicht nur die Umsetzung der Schweizer Umwelt- und Energiepolitikziele, sondern sichern auch eine stabile Stromversorgung.

Die Schweiz strebt eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung an, die durch die Integration in den europäischen Strommarkt unterstützt wird. Zudem sind die erweiterte Netzstabilität und die Möglichkeit der Schweizer Beteiligung in den entsprechenden EU-Gremien von grosser Bedeutung.

Abschluss der Verhandlungen schafft Planungs- und Rechtssicherheit
Ein barrierefreier Marktzugang, eine vollständige Assoziierung an europäische Forschungsabkommen, angemessene Personenfreizügigkeit sowie das Stromabkommen sind für den Wirtschaftsstandort Schweiz von zentraler Bedeutung in den Beziehungen zur EU. Eine rasche Festigung langfristig tragfähiger Beziehungen ist unerlässlich, um einen weiteren Erosionsprozess zu verhindern und nachhaltig negative Auswirkungen auf die schweizerische Wirtschaft und Gesellschaft abzuwenden.

Im Juni 2024 finden die EU-Parlamentswahlen statt, wodurch sich auch die Zusammensetzung der EU-Kommission ändern und das «window of opportunity» sich schliessen könnte. Mit der Verabschiedung des Verhandlungsmandats durch den Bundesrat und der Aufnahme von Verhandlungen vor diesem Zeitfenster bliebe aber die Chance bestehen, dass die "Bilateralen III” noch in diesem Jahr zustande kommen. Eine Lösung mit unserem wichtigsten Handelspartner ist dringender denn je.


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