Dossiers - Antibiotikaresistenzen
Übersicht und Position zu Antibiotikaresistenzen
06.09.2024
Antibiotika werden sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin zur Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten eingesetzt. Indem sie Bakterien an der Vermehrung hindern und sie abtöten, bekämpfen Antibiotika die Ursache der Krankheit. Die Wirksamkeit von Antibiotika ist durch Resistenzbildungen vermehrt gefährdet. Es gilt diese wachsende globale Herausforderung gemeinsam anzugehen.
Antibiotika werden in der Medizin nicht nur zur Behandlung akuter schwerer Infektionen eingesetzt, sondern auch zur Vorbeugung von Infektionen, beispielsweise nach einem chirurgischen Eingriff. Durch die häufige Verschreibung und unsachgemässen Anwendung verlieren Antibiotika jedoch weltweit an Wirksamkeit. Die Globalisierung trägt zusätzlich zur Verbreitung von Resistenzen bei.
Eine Möglichkeit, Resistenzen zu überwinden, wäre die Entwicklung neuer Antibiotika. Deren Erforschung erfordert jedoch hohe finanzielle Investitionen und es bleibt die Frage, wer diese finanziert. Antibiotikaresistenzen stellen mittlerweile ein grosses globales Problem dar und eine Lösung muss daher in einem breiten globalen Ansatz gefunden werden. Aus diesem Grund hat sich auch der internationale Pharmaverband International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA) dieser Problematik angenommen.
Neue Lösungsansätze auf internationaler Ebene
Verschiedene Interessengruppen, darunter die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation, der Wellcome Trust und führende Regierungen, haben erkannt: Die biopharmazeutische Industrie kann eine entscheidende Rolle insbesondere bei der Entwicklung neuer Antibiotika zur Bekämpfung von Infektionen spielen. Mitglieder des internationalen Pharmaverbands IFPMA haben sich deshalb zur Antimicrobial resistance (AMR) Industry Alliance zusammengeschlossen.
Der Zusammenschluss von über 100 Biotech-, Diagnostik-, Pharma- und Generikaherstellern setzt sich für die Bekämpfung der Bedrohung durch die fortschreitende Antibiotikaresistenz ein. Diese sind bereits heute für 700'000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich und könnten die Weltwirtschaft bis zum Jahr 2050 bis zu 100 Billionen Dollar kosten, wenn nicht dringend gehandelt wird. Die Mitglieder der AMR Industry Alliance stellen sich daher der Dringlichkeit der AMR-Herausforderung und arbeiten mit Regierungen, gemeinnützigen Organisationen, Forschern des öffentlichen Sektors, Angehörigen der Gesundheitsberufe und Kostenträgern zusammen. Der AMR Industry Progress Report gibt einen Überblick über den aktuellen Stand.
Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR)
In der Schweiz wurde im Jahr 2015 die nationale Strategie Antibiotikaresistenzen verabschiedet, mit dem Ziel, die nachhaltige Wirksamkeit von Antibiotika für die Gesundheit von Mensch und Tier zu erhalten. Die Umsetzung soll dem One-Health-Ansatz folgen und sieht eine breite Beteiligung von Akteuren und Stakeholdern vor.
Der One-Health-Ansatz verfolgt zudem die Idee der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen der Human- und Veterinärmedizin unter Einbezug von Stakeholdern aus Landwirtschaft und Umwelt.
Die Massnahmen der Strategie gegen Antibiotikaresistenzen wurden in acht Handlungsfelder gegliedert: Prävention, sachgemässer Antibiotikaeinsatz, Rahmenbedingungen, Information und Bildung, Kooperation, Forschung und Entwicklung sowie Überwachung. Die Umsetzung zahlreicher Massnahmen hat seither zu einer deutlichen Reduktion des Antibiotikaverbrauchs geführt: In der Humanmedizin sank der Verbrauch kritischer Antibiotika um 30 Prozent, in der Veterinärmedizin gingen die Antibiotikaverschreibungen um 41 Prozent und der Verbrauch kritischer Antibiotika gar um 77 Prozent zurück. Es zeichnet sich also eine vorläufige Stabilisierung ab.
Zentral ist, dass im Kampf gegen die Antibiotikaresistenzen alle mithelfen – Politik, Industrie, Forschung. Dies hielt bereits der erste Strategiebericht Antibiotikaresistenzen von 2017 fest. Seither wurde vielfältige Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen unternommen und erste Erfolge scheinen zu zeigen, dass die Problematik eingegrenzt werden kann.
Im Juni 2023 tauschen verschiedene Stakeholder aus Forschung, Politik und Industrie Ideen aus und erarbeiteten Vorschläge für den One-Health Aktionsplan 2024-27 der StAR. Die Industrie zeigt sich dabei insbesondere für eine Diskussion neuer Anreizsysteme offen, wie sie im Whitepaper des Vereins Roundtable Antibiotics diskutiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im globalisierten Pharmamarkt nationale Lösungen wenig zielführend sind und grosse Chancen in einer engeren Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft und Industrie zu orten sind.
One Health-Aktionsplan StAR 2024-2027
Gestützt auf diese Arbeiten hat der Bundesrat im Juni 2024 den neuen One Health-Aktionsplan StAR 2024-2027 verabschiedet, der an die Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) anknüpft. Darin wird der One-Health-Ansatz weiterverfolgt, indem sechs Handlungsschwerpunkte definiert und Ziele mit jährlichen Meilensteinen festgesetzt wurden. Seine Umsetzung ermöglicht beispielsweise in der Humanmedizin die Früherkennung von Resistenzen und die Unterbrechung von Übertragungsketten durch ein systematisches Screening bei Spitaleintritt von RisikopatientInnen. In der Veterinärmedizin wird der Antibiotikaverbrauch erfasst und in Zukunft an Tierarztpraxen und Tierhaltungsbetrieben kommuniziert. Zusätzlich soll ein Benchmarking den sachgemässen Einsatz von Antibiotika fördern, indem Verschreiber/Anwender direkte Vergleichsdaten abrufen können. Im Umweltbereich soll die Menge an Antibiotika, die über das Abwasser in die Umwelt gelangen, minimiert werden. Schliesslich sollen innovative Ansätze für Anreizmodelle geprüft werden, um die Entwicklung neuer Antibiotika und die Verfügbarkeit bestimmter Substanzen auf dem Schweizer Markt zu erhöhen. Der Erfolg der Umsetzung der Strategie wird im Jahr 2027 evaluiert.
Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin (IS ABV)
Das IS ABV ist Bestandteil der Strategie Antibiotikaresistenzen. Seit dem 1. Januar 2019 erfassen Tierärztinnen und Tierärzte ihre Antibiotikaverschreibungen im Informationssystem. Über diese Datenbank kann der Einsatz von Antibiotika bei Heimtieren, aber auch bei Nutztieren nachverfolgt werden. Im Jahr 2022 wurde nun zum ersten Mal in zwei separaten Berichten aufgezeigt, wie Antibiotika bei Heimtieren und Nutztieren eingesetzt werden.
Die Berichte geben eine Übersicht über die Antibiotikamengen, die Anzahl der Verschreibungen und die Anzahl der behandelten Tiere. Die Zahlen zeigen, dass die Menge der verkauften, respektive verabreichten Antibiotika in der Veterinärmedizin seit Jahren rückläufig ist. Indes sind weitere Anstrengungen notwendig, um den Verbrauch weiter zu reduzieren.
Vor allem im Bereich der Nutztiere hat sich gezeigt, dass kritische Wirkstoffe teilweise noch auf Vorrat abgegeben werden: Hier werden weitere Abklärungen durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) folgen. Derweil wurde in der EU mit der Verordnung (EU) 2019/6 über Tierarzneimittel (EU-Tierarzneimittel-Verordnung) erstmals harmonisierte Vorschriften für Tierarzneimittel erlassen, die unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten gelten. Sie regelt unter anderem den Einsatz von Antibiotika bei Tieren und enthält strenge Anforderungen an die Vorratshaltung. Die Schweiz wird ihre Vorschriften voraussichtlich entsprechend anpassen.
Antibiotika in der Humanmedizin
Im Bereich der Humanmedizin gibt es kein vergleichbares Monitoring wie das IS ABV. Für die Umsetzung der Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz im Humanbereich wurden ein Kernteam und ein Expertenpool gebildet. Sie beraten das BAG in strategischen und technischen Fragen der Umsetzung.
Im Vordergrund steht die Verbesserung der Überwachung mit dem Referenzlaboratorium für die Früherkennung und Überwachung neuartiger Antibiotikaresistenzen (NARA – Nationales Referenzlaboratorium zur Früherkennung neuer Antibiotikaresistenzen und Resistenzmechanismen). Für die Spitäler in der Schweiz wurden Leitlinien entwickelt, welche die sachgemässe Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Antibiotika unterstützen und fördern. Das Ziel ist es, dass das richtige Antibiotikum zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Dosis und für die richtige Dauer verschrieben wird.