Publikationen - Point-Newsletter
Point «Aktuelle Biotechnologie» November 2024 (Nr. 269)
- Springende Gene für pilzresistenten Weizen
- Voller Fleischgeschmack ohne tierische Produkte
- Mückenstiche als Malaria-Impfung
- Süssere Tomaten mit gelöster Zuckerbremse
29.11.2024
Neue Züchtungsverfahren: Springende Gene für pilzresistenten Weizen
Die genetische Variabilität ist ein entscheidender Faktor für die Anpassung von Lebewesen an veränderte Umweltbedingungen. In der Natur entsteht genetische Variabilität durch spontan auftretende Erbgut-Mutationen und auch durch Transposone, umgangssprachlich auch als «springende Gene» bekannt. Diese natürlich vorkommenten Elemente des Erbguts können ihre Position verändern, dabei genetische Veränderungen auslösen, und so auch die Eigenschaften der Pflanzen beeinflussen. Das machen sich Forschende von Agroscope zunutze, um bei Weizenpflanzen die natürliche Variabilität zu erhöhen, in der Hoffnung dabei Pflanzen mit verbesserter Resistenz gegen Pilzerkrankungen zu finden. Bei dem TEgenesis®-Verfahren wird die Aktivität der Transposone durch die Behandlung mit Chemikalien und durch Stress erhöht. Bei den Nachkommen der Pflanzen können dann Individuen mit veränderten Eigenschaften gefunden werden. Obwohl der Prozess auf natürlichen Mechanismen beruht, wurden die durch TEgenesis® erzeugten Pflanzen in der Schweiz juristisch als «gentechnisch veränderte Organismen» (GVO) eingestuft – ein Entscheid, der bei den meisten Naturwissenschaftlern für Kopfschütteln und Unverständnis sorgte. Die Forschenden waren daher gezwungen, für die erforderlichen Freilandversuche ein aufwändiges GVO-Bewilligungsverfahren zu durchlaufen. Am 5. November hat das Bundesamt für Umwelt BAFU jetzt den Freilandversuch bis zum Herbst 2029 auf dem Agroscope-Versuchsfeld in Zürich-Reckenholz bewilligt. (mehr…)
Ernährung: Voller Fleischgeschmack ohne tierische Produkt
Der Verzicht auf tierische Produkte in der Ernährung liegt im Trend – aber vielen fehlt dabei das komplexe Aroma von gebratenem Fleisch. In den USA macht seit einigen Jahren der «Impossible Burger» Furore, der vollständig auf Pflanzenbasis hergestellt wird, aber den vollen Fleischgeschmack verspricht. Sein Geheimnis: er enthält das sauerstoffbindende Eiweiss Leg-Hämoglobin, das ursprünglich aus Pflanzen stammt, aber in seiner Struktur, Funktion und Optik dem roten Farbstoff in Fleisch und Blut entspricht. Wird es zusammen mit Soja-Eiweiss und anderen pflanzlichen Komponenten zu einem Burger verarbeitet, lässt sich der Geschmack von Rindfleisch sehr überzeugend nachahmen, und auch der rote Saft eines nicht ganz durchgebratenen Hackfleisch-Burgers. Um Leg-Hämoglobin in den erforderlichen Mengen zu produzieren, wurde das dafür verantwortliche Soja-Gen in Hefe übertragen. So kann der begehrte Zusatzstoff durch Präzisionsfermentation erzeugt werden. 2019 stellte «Impossible Foods» den Antrag, das durch einen gentechnisch veränderten Hefestamm erzeugte Leg-Hämoglobin auch in der EU verwenden zu dürfen. Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA hat jetzt die Sicherheit des biotechnologisch erzeugten Leg-Hämoglobins bestätigt und damit den Weg für eine EU-Zulassung geebnet. Möglicherweise erhalten auch die Anhänger einer bewusst tierfreien Ernährung in Europa schon bald die Möglichkeit, den vollen Fleischgeschmack der «Impossible Burger» zu erleben. (mehr…)
Medizin: Mückenstiche als Malaria-Impfung
Die Malaria wird durch mikroskopische Plasmodium-Parasiten verursacht und durch Mücken übertragen. Ein Forschungsteam aus den Niederlanden beschreibt jetzt, wie Mücken für eine wirksame Malaria-Impfung eingesetzt werden können – ein potenzieller Durchbruch im Kampf gegen die Krankheit. Malaria infiziert jedes Jahr etwa 250 Millionen Menschen weltweit und verursacht 600'000 Todesfälle – zum Grossteil bei Kindern unter 5 Jahren. Zwar wurden bereits erste Impfstoffe aus Bruchstücken des Malaria-Erregers entwickelt. Diese bieten aber nur einen begrenzten Schutz, der nicht lange anhält. Um eine wirksamere Immunisierung zu erreichen, versuchen Forschende, den kompletten Parasiten als Impfstoff einzusetzen – natürlich muss dabei vermieden werden, dass die Impfung selbst eine Krankheit auslöst. Durch Genomeditierung mit der Genschere CRISPR/Cas9 wurde dafür in den Plasmodium-Parasiten ein Gen ausgeschaltet, das für die Vermehrung im Menschen erforderlich ist. So sterben die Parasiten etwa sechs Tage nach der Infektion ab, bevor sie Symptome verursachen. Nach Stichen von mit den genetisch veränderten Parasiten infizierten Mücken wurde das Immunsystem von Freiwilligen angeregt, gegen weitere Infektionen vorzugehen. Tatsächlich waren 89 Prozent der Versuchspersonen danach gegen Infektion mit Malaria geschützt, während fast alle ungeschützten Freiwilligen erkrankten. Der Ansatz könnte, wenn er mit einer grösseren Zahl von Personen bestätigt werden kann, einen wesentlichen Beitrag zur globalen Kontrolle von Malaria leisten. (mehr…)
Genomeditierung: Süssere Tomaten mit gelöster Zuckerbremse
Welche Geschmackswahrnehmung verknüpft man mit prall-roten, sonnengereiften Tomaten? Den meisten kommt hier wohl die Wahrnehmung von Süsse in den Sinn. Und tatsächlich bevorzugt die Mehrheit der Konsumierenden süssere Tomatenfrüchte. Allerdings wurde bei der Tomatenzüchtung über viele Jahrzehnte ein Schwerpunkt auf möglichst grosse und schöne Früchte gelegt – und in der Regel ist der Zuckergehalt verschiedener Tomatensorten umso niedriger, je grösser sie werden. Durch die einseitige Ausrichtung der Züchtung auf Grösse und Ertrag sind so wertvolle Geschmackseigenschaften in Kultursorten verloren gegangen, die in vielen Wildsorten noch vorhanden sind. Ein grosses chinesisches Forschungsteam zeigt jetzt, wie mit Hilfe der Genomeditierung durch die Genschere CRISPR/Cas9 die Süsse und der volle Geschmack alter Tomatensorten in Kultursorten zurückgeholt werden kann. Durch Vergleiche des Erbguts zahlreicher Sorten mit unterschiedlichem Zuckergehalt konnten sie zwei Tomatengene identifizieren, die am Abbau eines zuckerproduzierenden Eiweisses beteiligt sind und so als Zuckerbremse wirken. Eine gezielte Ausschaltung der beiden Gene führte zu einer 30-prozentigen Erhöhung des Zuckergehalts der Früchte, ohne Einbussen bei der Fruchtgrösse. Zahlreiche Teilnehmer einer Verkostung bestätigten, dass die Früchte der genomeditierten Tomaten deutlich süsser schmecken. So kann durch eine Kombination moderner Technologien der Geschmack alter Sorten zurückgebracht werden. Auch bei der Verarbeitung der Früchte mit einem höheren Zuckergehalt kann deutlich Energie gespart werden. (mehr…)
Text und Redaktion: Jan Lucht, Leiter Biotechnologie (jan.lucht@scienceindustries.ch)