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Zulassungsprozesse: Keine Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts

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Zulassungsprozesse: Keine Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts

Im heutigen Sonntagszeitung-Artikel «Chemielobby greift Beschwerderecht der Umweltverbände an» wird suggeriert, der Schutz von Natur und Grundwasser sei kein Anliegen der scienceindustries-Mitglieder. Das Gegenteil ist der Fall: Aufgrund des Verbandsbeschwerderechts kommen neue, weniger schädliche Pflanzenschutzmittel nicht auf den hiesigen Markt.

09.10.2022

Das Parteistellungsrecht der Umweltverbände soll bei der Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel
im Rahmen der zukünftigen Agrarpolitik (AP22+) aufgenommen werden. Was aufgrund eines Bundesgerichtsurteils bereits für bestehende Pflanzenschutzmittel gilt, soll auf neue Produkte ausgeweitet werden. Wie ein heute publizierter Sonntagszeitungsartikel suggeriert, wehre sich die chemisch-pharmazeutische Industrie gegen einen griffigen Schutz der Natur und des Grundwassers - indes ist gerade das Gegenteil der Fall, denn mit einer Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts würde die Einführung neuer, innovativer und die Umwelt weniger beeinträchtigende Pflanzenschutzmittel weiter verzögert.

Bundesrat bestätigt Verzögerungen durch Verbandsbeschwerderecht

Fakt ist, dass der Zulassungsprozess für Pflanzenschutzmittel in der Schweiz tatsächlich seit längerer Zeit langsam ist. Seit der Einführung des Verbandsbeschwerderechts hat sich die Situation allerdings deutlich verschlechtert. Dass das Verbandsbeschwerderecht der Grund dieser Verschlechterung ist, ist nicht nur eine Vermutung der Industrie. Auch der Bundesrat hält in seiner Antwort zur Interpellation 21.3692 "Pflanzenschutzmittel-Zulassung. Verbesserung der Transparenz" bestätigt er, dass der Hauptgrund zur Verzögerung des Zulassungsprozesses seit 2018 in der Umsetzung des Verbandsbeschwerderechts liegt:

«Bis 2018 betrug die Frist für die Bearbeitung eines Bewilligungsgesuchs für ein neues Produkt mit vollständig vorgelegtem Dossier 12 Monate. Seit 2018 und aufgrund eines Entscheids des Bundesgerichts kommt den im Sinne von Artikel 12 Absatz 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (SR 451) anerkannten Organisationen im Zulassungsverfahren Parteistellung zu. Um diesen Organisationen die Möglichkeit einzuräumen, ihr Recht auf Parteistellung geltend zu machen, ist ein Verfahren zur Publikation im Bundesblatt eingeführt worden. Bei der Ausübung dieses Rechts können die Organisationen die wissenschaftlichen Beurteilungsberichte einsehen sowie Kommentare einbringen. Diese werden von der Beurteilungsstelle evaluiert, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Diese zusätzliche Arbeit hat zu Verzögerungen bei der Bearbeitung der Bewilligungsgesuche geführt».

Aufwändiger Zulassungsprozess - wenig Beschwerden

Um den Einfluss des Verbandsbeschwerderechts auf den Zulassungsprozess zu verstehen, muss man dessen Umsetzung im Detail betrachten:

1. Die Behörden sind neu gefordert, jede fertige Beurteilung eines Dossiers – sei es für eine Neuzulassung eines Produkts und/oder Wirkstoffs oder einer Erweiterung einer Zulassung – im Bundesblatt zu publizieren. Nach der Publikation können die Umweltverbände während zwei Wochen Parteistellung beantragen, d.h. Einblick in die Beurteilungsunterlagen verlangen. Dieser Antrag blockiert die Zulassung, da die Behörden umfassende Unterlagen zuhanden der Umweltverbände vorbereiten müssen.

2. Nach Erhalt der Unterlagen haben die Umweltverbände sechs Wochen Zeit, um ihre Kommentare einzureichen. Die Behörden evaluieren diese dann und verfügen die Zulassung (erfahrungsgemäss zirka zwei Jahre nach der ursprünglichen Publikation).

Nach dieser Verfügung können die Umweltorganisationen Beschwerde einreichen. Dies geschieht tatsächlich nur sehr selten, denn dafür bräuchte es stichhaltige wissenschaftliche Argumente gegen die verfügte Zulassung. Ferner gilt es zu bedenken, dass die Umsetzung des Verbandsbeschwerderechts erst seit Mitte 2019 besteht. Das Bundesgericht fällte sein Urteil zwar bereits im Februar 2018, die erste Publikation im Bundesblatt und damit die erste Möglichkeit, für die Umweltverbände Parteistellung zu beantragen, bestand erst seit Mitte 2019. Dies erlaubt, die drei Beschwerden und 25 Stellungnahmen - gegenüber rund 700 offenen Dossiers - in die richtige Perspektive zu setzen. Wir gehen davon aus, dass die Umweltverbände mindestens bei jedem zweiten Zulassungsantrag Parteistellung beantragen.

Mehrwert der Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts bleibt unklar

In seiner Antwort zur Interpellation 21.3692 führt der Bundesrat zudem ein weiteres Argument an, welches gegen eine Ausweitung des Verbandsbeschwerderechts auf die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln spricht: Dieses habe keine Auswirkungen auf den Inhalt der Beurteilungsberichte, weil die wissenschaftliche Risikoabschätzung in der Schweiz gemäss international vereinbarten Methoden erfolgt. Somit bleibt der Mehrwert des Verbandsbeschwerderechts bei einem wissenschaftsbasierten und international abgestimmten Prozess wie der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mehr als unklar. Hingegen bedeutet es für den Prozess und die betroffene Zulassungsstelle einen enormen Aufwand – und führt zu den genannten Verzögerungen und zu einem viel grösseren Ressourcenbedarf.

Für die Schweizer Landwirtschaft ist diese Situation ebenso bedauerlich wie für die Industrie und damit letztlich für die Konsumentinnen und Konsumenten: Die Schweizer Landwirte müssen zusehen, wie ihre Konkurrenten in den umliegenden Ländern von neuen, besseren und umweltverträglicheren Wirkstoffen profitieren, während sie selber ihre Kulturen gegen Schädlinge, Pilze oder andere Umwelteinflüsse nur ungenügend schützen können. Dies wirkt für die Konsumentinnen und Konsumenten angebotseinschränkend und preistreibend, sowohl bei Lebensmitteln aus konventionellem wie auch aus biologischem Anbau.

Rascher Marktzugang dank verbindlicher Fristen analog zur EU

Damit Innovationen ihre positive Wirkung entfalten können, müssen sie den Weg zum Markt finden. Deswegen setzt sich scienceindustries für sichere und effiziente Zulassungsprozesse ein und pflegt einen konstruktiven Dialog mit den zuständigen Behörden, der Forschung und den Anwendern. Es ist uns bewusst, dass das Verbandsbeschwerderecht nicht das einzige Problem des Zulassungsprozesses für Pflanzenschutzmittel ist und Verbesserungen auch in anderen Bereichen möglich wären:

  • Die Einführung von verbindliche Fristen für die Bearbeitung der Dossier (analog zu den EU-Staaten) wäre eine gute Massnahme wäre, um dem Prozess mehr Verbindlichkeit zu verleihen.
  • Eine Diskussion über eine allfällige Erhöhung der Gebühren lehnen wir nicht grundsätzlich ab. Wichtig ist jedoch zu bedenken, dass der Schweizer Markt sehr klein ist (er entspricht nicht einmal 10 % des Gesamtmarktes von Deutschland). Eine unangemessene Erhöhung der Zulassungsgebühren für die Schweiz würde die Attraktivität einer Registrierung in der Schweiz für international tätige Unternehmen zusätzlich stark reduzieren, was zu einer weiteren Verringerung der Produktepalette – sowohl im konventionellen als auch in biologischen Anbau – führen würde. Dem Schutz der Anbaukulturen und einer effektiven Vorbeugung gegen Resistenzen wäre somit eine zu starke Erhöhung der Zulassungsgebühren nicht dienlich und würde auch die oben dargelegten grundsätzlichen Probleme nicht lösen.

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