Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences

Dossiers - Chemikalienregulierung

Differenzierte Betrachtung von "Risk versus Hazard"

In der chemischen Industrie spielen Risk und Hazard eine entscheidende Rolle für die Bewertung und den Umgang mit Chemikalien. Auch aktuelle Entwicklungen in der EU und der Schweiz unterstreichen die Notwendigkeit eines ausgewogenen Ansatzes zwischen Risikomanagement und Gefahrenbewertung.

16.07.2024

Nach welchen Grundsätzen sollen in der chemischen Industrie verwendete Stoffe heute und auch künftig reguliert werden? Das Konzept der Gefahr («Hazard») und des Risikos («Risk») ist dabei von zentraler Bedeutung. Das grundlegende Verständnis dieser beiden Begriffe und die daraus resultierenden Ansätze zur Sicherheitsbewertung chemischer Stoffe, beziehungsweise ganzer chemischer Stoffklassen bilden die Grundlage für regulatorische Bestimmungen und geben damit heute den Umgang mit Chemikalien der Industrie vor.

Eine Sache der Perspektive
Die Unterscheidung der beiden Begriffe «Risk» und «Hazard» ist für die chemische Industrie von grossem Gewicht. Während «Hazard» die inhärente Gefahr eines Stoffes beschreibt, bezeichnet «Risk» das Ausmass des Schadenspotenzials. Unter dem risikobasierten Ansatz ist nicht nur das Gefahrenpotenzial eines Stoffes relevant, sondern das tatsächliche Risikopotenzial, wenn der Stoff in einer bestimmten Weise und Menge verwendet wird.

Dieser Ansatz bietet so die Möglichkeit, weitere Faktoren, beispielsweise die Exposition, in die Bewertung des Schadenspotenzials zu implementieren. So kann ein Stoff eine hohe Hazard-Einstufung aufweisen, aber ein geringes Risiko darstellen, wenn er gezielt und unter kontrollierten Bedingungen verwendet wird (siehe Vergleichsbeispiel "Mobilität und Verkehr" unten).

Risiken reduzieren, ohne auf Vorteile zu verzichten
Mit Blick auf die Regulierung chemischer Stoffe bedeutet dies: Risiken gilt es möglichst zu reduzieren, ohne auf die Vorteile der Verwendung von Stoffen und Prozessen verzichten zu müssen. Dazu gehören, wenn ein Ersatz durch andere, weniger gefährliche Stoffe nicht zur Verfügung steht, technische Massnahmen, wie die Einkapselung von Prozessen in geschlossene Systeme oder kontrollierte Abluftreinigung. Des Weiteren sind auch organisatorische Massnahmen, wie Zugangsbeschränkungen und letztlich die Ausstattung von Mitarbeitenden mit persönlicher Schutzausrüstung Elemente der Risikoreduktion.

Solche Elemente sind in den Risikomanagementprozessen unserer Branche längst Standard. Mit Blick auf die Regulierung gilt es immer eine sorgfältige Abwägung von Vor- und Nachteilen einer Stoffverwendung, eines Verzichts auf eine Stoffverwendung sowie, wenn vorhanden, die Beurteilung von Alternativen zu machen. Dies ist für einzelne Stoffe aufwendig, aber für ganze Gruppen von Stoffen aufgrund der Komplexität kaum umsetzbar – weder für die Industrie noch für Behörden.

EU: Ursprünglicher Regulierungsplan verschoben
Mit Blick auf Chancen und Risiken stellen per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) eine besondere Herausforderung dar. Diese Gruppe verschiedenster Chemikalienklassen findet infolge einer Vielzahl positiver Eigenschaften in der Industrie Verwendung: Wasser-, fett- und schmutzabweisende Eigenschaften sowie hohe chemische und thermische Stabilität machen diese Chemikalien in industriellen Produkten und Prozessen fundamental (z.B. bei der Herstellung von Solarzellen und Photovoltaik-Anlagen, in Medikamenten für Mensch und Tier sowie bei der Produktion von Computer-Chips). Jedoch führen genau diese inerten Eigenschaften dazu, dass sie auch gegenüber natürlichen Abbauprozessen sehr stabil sind.

Die EU hat deswegen umfangreiche Massnahmen ergriffen, um die Risiken von PFAS zu minimieren, einschliesslich der Einführung strenger Grenzwerte für bestimmte und eines geplanten, grossflächigen Verbots von PFAS-Verbindungen. Die Problematik bei der seitens EU publizierten Verbotsabsicht ist, dass die Verwerfungen bei Industrie und Gewerbe, aber vor allem für die breite Bevölkerung ausserordentlich gross wären. Die europäischen Behörden mussten deshalb auch vom ursprünglichen Zeitplan Abstand nehmen und sich der Herausforderung einer tatsächlichen Risikoabschätzung stellen.

Schweiz: Bisher pragmatischere Chemikalienregulierung
Die Schweiz verfolgt ähnliche Ansätze in der Regulierung. Dazu gehören insbesondere Beschränkungen und Verbote aus dem europäischen Chemikalienrecht REACH, die mit dem Argument des “gleichen Schutzniveaus” nahezu eins zu eins autonom nachvollzogen werden. Bei der Verwendung von Stoffen im Inland geht die Schweiz bisher einen etwas pragmatischeren Weg als die EU.

Mit der aktuell in der Schweiz geltenden Chemikalienregulierung können hiesige Unternehmen länger (plus 10 Jahre als in der EU) mit Stoffen arbeiten. Damit die Unternehmen von der Verlängerung profitieren können, müssen sie etliche Kriterien erfüllen. So setzt die Schweiz auf das Prinzip S-T-O-P (Substitution, also Ersatz – Technische Massnahmen – Organisatorische Massnahmen – Persönliche Schutzausrüstung) – eine klassische Risikomanagementstrategie.

Regulatorische Entwicklung in der EU und der Schweiz
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren bedeutende Schritte unternommen, um die Chemikaliensicherheit zu erhöhen. Mit der Einführung der REACH-Verordnung wurde ein umfassendes System zur Bewertung und Kontrolle von Chemikalien etabliert. Diese Verordnung betont die Bedeutung einer differenzierten Risikobewertung. Allerdings wird unter REACH die Hazard-Betrachtung gegenüber der sinnvolleren Risiko-Betrachtung bevorzugt.

Das Chemikaliengesetz, die Chemikalienverordnung und die Chemikalienrisikoreduktionsverordnung ermöglichen es der Schweiz, neben eigenen Überlegungen die wesentlichen Beschränkungen im Umgang mit Chemikalien, die auf europäischer Ebene durch REACH eingeführt wurden, eigenständig zu übernehmen. Eine Harmonisierung der Regulierung kann schnell und pragmatisch auf Ebene der Verordnungsstufe nachvollzogen werden.

Ausgewogener und pragmatischer Ansatz notwendig
Die Revision der REACH-Verordnung der EU im Rahmen des European Green Deals und die absehbare Aktualisierung des Schweizer Chemikalienrechts zeigen, dass die chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz in Zukunft mit einem stärker regulierten Umgang mit Chemikalien rechnen muss. Sie steht hier vor der Herausforderung, eine Balance zwischen Innovation und Sicherheit zu finden. Sprich: Eine differenzierte und wissensbasierte Betrachtung von Risiko und Gefahr von Chemikalien ist essenziell.

Um den vollen Nutzen von Chemikalien in den verschiedenen Anwendungsbereichen realisieren zu können, ist eine ganzheitliche Betrachtung notwendig. Es braucht eine sorgfältige Abwägung der gesellschaftlichen Interessen, der stoff- und anwendungsbezogenen Risiken, des Schadenspotenzials eines Verbots sowie des Vorhandenseins von Alternativen und deren Relevanz bezüglich Sicherheit für Mensch und Umwelt. Die bewährte Zusammenarbeit der Schweizer Behörden mit Industrie und Gewerbe bildet dabei das Fundament für den sicheren Umgang mit Chemikalien und ermöglicht so Innovation und Fortschritt für Mensch und Umwelt – auch in Zukunft.
 

"Risk versus Hazard"  
Vergleichsbeispiel Mobilität und Verkehr

Als Veranschaulichungsbeispiel für "Risk versus Hazard" aus dem Alltag dient beispielsweise die Regulierung von Verkehr – dieser ist inhärent gefährlich. Um die Wahrscheinlichkeit von Unfällen und daraus resultierende Schäden an Leib, Leben und Sachgütern so tief wie möglich zu halten, wird mittels Abmachungen (z.B. Geschwindigkeitsbegrenzungen), technischen Massnahmen (z.B. Leitplanken) und persönlichen Schutzmassnahmen (z.B. Fahrradhelm) das Risiko in einen akzeptablen Bereich gebracht, ohne dass auf die Vorteile von Mobilität (z.B. Güter- und Krankentransporte) verzichtet werden muss.

Wie das Risiko eines gefährlichen Gegenstandes (Auto) anwendungsbezogen gemindert wird, zeigen die unterschiedlichen Geschwindigkeitslimiten auf unterschiedlichen Strassen: Tempo 20 in Quartierstrassen mit hoher Begegnungswahrscheinlichkeit mit Fussgängern, 80km/h ausserorts und bis zu 120km/h auf Autobahnen, wo diese “Exposition” sehr viel geringer ist. Genau denselben Denkansatz verfolgt die chemische Industrie im Bereich der Regulierung ihrer Tätigkeiten.


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