Publikationen - Positionspapiere
Übernahme der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR)
05.09.2024
Übernahme der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) – Ein globales Problem braucht eine globale Lösung
Ausgangslage
Am 29. Juni 2023 trat in der EU die Verordnung über entwaldungsfreie Produkte in Kraft. Die Haupttriebkraft dieser Prozesse ist die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen, die mit der Produktion von Rohstoffen wie Rinder, Holz, Kakao, Soja, Palmöl, Kaffee, Kautschuk und einigen ihrer Folgeprodukte wie z.B. Leder, Schokolade, Reifen oder Möbel verbunden ist. Als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und Verbraucher dieser Rohstoffe, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, sieht sich die EU für dieses Problem mitverantwortlich und möchte bei dessen Lösung eine Vorreiterrolle übernehmen.
Gemäss der Verordnung muss jeder Wirtschaftsbeteiligte oder Händler, der diese Waren auf den EU-Markt bringt oder aus der EU ausführt, nachweisen können, dass die Produkte nicht von kürzlich (Stichtag ist der 31.12.2020) abgeholzten Flächen stammen oder zur Waldschädigung beigetragen haben.
Mit der Umsetzung gehen umfassende aufwändige Nachweispflichten einher. Die Marktteilnehmer sammeln Informationen, Unterlagen und Daten, aus denen hervorgeht, dass die relevanten Erzeugnisse in Artikel 3 Voraussetzungen – i.e. entwaldungsfreie Produkte, gemäss den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt sowie Vorliegen einer Sorgfaltserklärung – entsprechen.
Mit der Verordnung über entwaldungsfreie Produkte wird die EU-Holzverordnung aufgehoben. Ab dem 29. Juni 2023 haben Unternehmen und Händler 18 Monate Zeit, die neuen Vorschriften umzusetzen. Für Kleinst- und Kleinunternehmen gilt eine längere Anpassungsfrist, und es gelten weitere besondere Bestimmungen.[1]
Die EU-Entwaldungsverordnung hat mittlerweile auch das Parlament erreicht, namentlich in Form von Fragen im Rahmen der Fragestunden (24.7384; 24.7182; 24.7193), Anfragen (22.1054), Interpellationen (21.4481; 23.4459; 23.3760; 24.4026 ) und Motionen (22.4414; 22.4318).
Position des Bundesrates
Gemäss der Medienmitteilung des Bundesrates[2] vom 14. Februar 2024 sieht der Bundesrat bis auf weiteres von einer Anpassung des Schweizer Rechts an die EUDR ab. Er hat die Bundesverwaltung beauftragt, Abklärungen zur Anpassung des Schweizer Rechts an die EUDR sowie zur Umsetzng der EUDR in der EU zu treffen und die Prüfung für unterstützende Massnahmen für die betroffenen Branchen und Unternehemn weiterzuführen.
1. Herausforderungen der EU-Entwaldungsverordnung
1.1 Generell
Umsetzung und Kontrolle
Eine der Herausforderungen, mit denen sich betroffene Unternehmen konfrontiert sehen, ist das Fehlen einer aktuellen Klassifizierung des Risikogrades für die Ursprungsländer. Artikel 29 der EUDR sieht ein dreistufiges System für die Bewertung von Ländern vor, die entweder ein "hohes Risiko", ein "geringes Risiko" oder ein "Standardrisiko" für die Produktion relevanter Waren auf entwaldeten Flächen aufweisen. Es scheint, dass die EU-Kommission beabsichtigt, die Einstufung der Länder auszusetzen, da einige Länder Bedenken gegen die Einstufung als "hohes Risiko" haben. Eine solche Klassifizierung hätte weitreichende Auswirkungen auf die Fähigkeit dieser Länder, relevante Rohstoffe zu exportieren, und könnte auch im Widerspruch zu ihren internationalen Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels stehen.
Eine weitere Herausforderung, die sich aus der Verzögerung der Einstufung ergibt, besteht darin, dass alle Länder standardmässig als "Standardrisiko" eingestuft werden würden. Da die Entwaldungsverordnung für Produkte aus Ländern mit "Standardrisiko" nach wie vor ein erhebliches Mass an Sorgfaltspflicht vorschreibt, müssen die Unternehmen diese Sorgfaltspflicht auf relevante Produkte aus allen möglichen Herkunftsländern anwenden. Dies bedeutet, dass die Unternehmen in absehbarer Zukunft nicht die Möglichkeit haben werden, nur eine vereinfachte Sorgfaltsprüfung durchzuführen.
Der Ersatz bestehender Lieferanten durch konforme Lieferanten ist eine weitere Herausforderung für die Unternehmen. Artikel 3 der EUDR sieht vor, dass Wirtschaftsbeteiligte und Händler relevante Waren und Produkte, die nicht entwaldungsfrei sind, nicht auf dem EU-Markt in Verkehr bringen oder bereitstellen bzw. nicht ausführen dürfen. Dies ist die wichtigste und ehrgeizigste Bestimmung der Entwaldungsverordnung, die vor allem darauf abzielt, die Auswirkungen der Entwaldung auf die Treibhausgasemissionen zu verringern. Infolgedessen werden die Unternehmen ihre Lieferverträge mit Kleinerzeugern überprüfen müssen und sich möglicherweise dafür entscheiden, von grösseren Erzeugern zu kaufen, die die Mittel für die Lieferung von entwaldungsfreien Rohstoffen aufbringen können. Dies kann sich negativ auf soziale Belange in den Exportländern auswirken. Somit kann ein weiteres Ziel der EUDR, der Schutz indigener und lokaler Gemeinschaften, nicht erreicht werden. Darüber hinaus könnten selbst grössere Lieferanten Schwierigkeiten haben, ihre Produktion schnell genug umzustellen, um die neuen Standards zu erfüllen. Folglich könnten Unternehmen, die die Entwaldungsverordnung einhalten müssen, Schwierigkeiten haben, Lieferanten für konforme Produkte zu finden, was zu einer Verknappung der entsprechenden Produkte in der EU führen könnte.
Die effektive Umsetzung und Überwachung der Einhaltung können sich schwierig gestalten, insbesondere in abgelegenen Gebieten.
Ausbalancierung der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit
Die mit der EU-Verordnung einhergehenden Beschränkungen könnten die Lebensgrundlagen und die Wirtschaftstätigkeit in betroffenen Regionen beeinträchtigen. Bsp.: Millionen von Kleinbauern in Südostasien laufen Gefahr, den Zugang zu den europäischen Lieferketten für Forstrohstoffe zu verlieren, wenn nicht ernsthafte Massnahmen ergriffen werden, um sie bei der Einhaltung der neuen EU-Verordnung zur Vermeidung von Abholzung zu unterstützen. Kleinbauern produzieren grosse Mengen an forstwirtschaftlichen Rohstoffen, aber vielen fehlen die technischen Kapazitäten und das finanzielle Kapital, um die hohen Sorgfaltsanforderungen der neuen Verordnung zu erfüllen. Ohne Unterstützung für gefährdete Gemeinschaften bei der Einhaltung der Vorschriften könnten die Landwirte Landraub, Enteignung und anderen Missbräuchen ausgesetzt sein, so dass einigen keine andere Wahl bleibt, als sich in bewaldete Landschaften zurückzuziehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.[3]
Deshalb gilt es, Einkommen für Grundnahrungsmittel wie Nahrung, sauberes Wasser und Wohnraum sicher zu stellen. Ausserdem ermöglicht ein Einkommen vielen Arbeitern, ihre Kinder zur Schule zu schicken.[4]
Eine der grössten Herausforderungen der neuen Regelung ist die Vorschrift, dass Erzeuger und Händler genaue geografische Koordinaten für alle Parzellen angeben müssen, von denen ihre Produkte stammen. Dadurch sollen die Käufer in der EU in die Lage versetzt werden, die Waren bis zu dem Betrieb zurückzuverfolgen, auf dem sie angebaut wurden, um zu überprüfen, ob sie frei von Abholzung sind.
Der Prozess der Überprüfung von Landnutzungsrechten und der Zertifizierung von Plantagen, ganz zu schweigen von der Erfassung von Geolokalisierungsdaten, ist jedoch in vielen Teilen Südostasiens langwierig, komplex und langsam. Die entsprechenden Überwachungssysteme und Datenbanken sind einfach nicht vorhanden – kurzfristig eine grosse Herausforderung, wenn nicht gar unmöglich.
Mögliche Spannungen zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen müssen beseitigt werden. Mögliche Anreizstrukturen in Form von flankierenden Massnahmen können ein Mittel sein, eine Grundlage für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung zu schaffen.
Entwaldung ist ein globales Problem
scienceindustries anerkennt durchaus die Wichtigkeit der Bekämpfung der Abholzung und damit die Stärkung des Umweltschutzes, jedoch führt die überbordende Bürokratie und das Fehlen wesentlicher und geeigneter Instrumente für die Umsetzung der EUDR zu einer signifikanten Schwächung des Wirtschaftsstandortes und der Versorgungssicherheit.
Aus Sicht von scienceindustries ist ein globales Problem nicht mit unilateralen Massnahmen zu lösen. Internationale Abstimmung und Kooperation sind hierzu unumgänglich.
1.2 Herausforderungen bei der Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung
Die Umsetzung der Nachweispflichten stellt für die Wirtschaftsteilnehmer im In- und Ausland eine grosse Herausforderung dar.
Die Marktteilnehmer müssen proaktiv feststellen und dokumentieren, dass das Risiko eines Verstosses gegen die EU-Entwaldungsverordnung nicht besteht oder allenfalls vernachlässigbar ist.
Die Nachweise beinhalten folgende Informationen: Beschreibung, einschliesslich des Handelsnamens und der Art der relevanten Erzeugnisse; die Menge der relevanten Erzeugnisse; das Erzeugerland und gegebenenfalls dessen Landesteile; die Geolokalisierung aller Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe, die das relevante Erzeugnis enthält, hergestellt wurde, bei verschiedenen Grundstücken ist die Geolokalisierung für jedes der jeweiligen Grundstücke anzugeben; der Name, die Anschrift und die E-Mail-Adresse der Lieferanten; Name, die Anschrift und die E-Mail-Adresse der Kunden; angemessen schlüssige und überprüfbare Informationen darüber, dass die relevanten Erzeugnisse entwaldungsfrei sind sowie angemessen schlüssige und überprüfbare Informationen darüber, dass die Erzeugung der relevanten Rohstoffe im Einklang mit den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes, i.e. Gesetze zum Wald- und Naturschutz, Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte, Rechte von indigenen Völkern und lokale Anti-Korruptions-Gesetze, erfolgt ist, einschliesslich aller Vereinbarungen, die das Recht begründen, das betreffende Gebiet für die Erzeugung der relevanten Rohstoffe zu nutzen.
Gerade für betroffene Produkte, die sich aus Lieferungen zahlreicher Rohstofflieferanten, wie z.B. bei Palm-/Palmkernöl und deren Nachfolgeprodukte, zusammensetzen, wird die Datenbeschaffung sehr schwierig und ausserordentlich umfangreich. Der Importeur muss bereits bei der Bestellung sicherstellen, dass die benötigten Daten vorliegen, ansonsten drohen durch Blockierung der Lieferung Produktionsausfälle.
Bei Verstössen gegen die Vorgaben der EU-Entwaldungsverordnung müssen sich die Unternehmen auf saftige Bussgelder in Höhe von bis zu 4% des erwirtschafteten Jahresumsatzes einstellen. Ausserdem können die zuständigen Marktüberwachungsbehörden nicht nur den Vertrieb untersagen, sondern auch die Rücknahme betroffener Produkte vom Markt sowie den Rückruf nicht-konformer Produkte von den Endkunden erzwingen.
1.3 Diskriminierungspotenzial für Hersteller
Die EU-Entwaldungsverordnung gilt nicht für die gesamte Wertschöpfungskette, sondern nur für ausgewählte Produkte und ist mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden. Dies kann zu einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit und somit des Wirtschaftsstandortes führen. Ein Beispiel hierfür ist die Herstellung von Kosmetikzwischenprodukten aus Palmöl: diese fällt unter die Verordnung, aber nicht das daraus resultierende Kosmetikzwischenprodukt (oft unter Zolltarifnummer 3824.90 klassiert). Der Kosmetikzwischenproduktehersteller ausserhalb des EU-Raumes hat dementsprechend einen wirtschaftlichen Vorteil, da er die Nachweispflichten für das Produkt im Unterschied zum Hersteller in der EU nicht erfüllen muss.
2. Freiwillige Nachhaltigkeitsstandards und rechtliche Grundlagen
Bereits heute bestehen freiwillige Standards und rechtliche Grundlagen für einzelne Produkte, die durch die Entwaldungsverordnung der EU geregelt werden:
2.1 Holz
Laut Bundesrat besteht mit Art. 35e-h des Umweltschutzgesetzes (USG; SR 814.01) bereits eine gesetzliche Grundlage für die Anpassung der Schweizer Holzhandelsverordnung (HHV; SR 814.021) an die EUDR und die Einführung von Sorgfaltspflichten auch für weitere Rohstoffe und Produkte. Die EU-Holzhandelsverordnung (EUTR; Verordnung (EU) Nr. 995/2010) bleibt voraussichtlich für weitere drei Jahre in Kraft, bis die Übergangszeit abgeschlossen ist. Dies ermöglicht es der Schweiz, Anpassungen zu vertiefen. Wir teilen die Einschätzung des Bundesrates, dass die Erarbeitung einer Regulierung zum jetzigen Zeitpunkt als verfrüht gilt.
2.2 Palmöl
Bereits heute existieren verschiedene Zertifizierungssysteme (wie z.B. Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO), International Sustainability and Carbon Certification (ISCC) Standard; Rainforest Alliance / Sustainable Agriculture Network (SAN) Standard; Roundtable on Sustainable Biomaterials (RSB)), um eine nachhaltige Produktion und Herstellung von Palm(kern)öl zu fördern.
Die Zertifizierung der Palm(kern)öllieferkette vom Anbau bis zur stofflichen Nutzung ist ein starker Hebel, um die ökologischen und sozialen Probleme, die durch die Ausweitung von Ölpalm‐Plantagen entstehen, anzugehen. Zudem braucht es die Unterstützung der Politik und Gesetzgebung in den Anbauländern, die Durchsetzung bereits bestehender Gesetze sowie verantwortungsvolle Produzenten und Händler. RSPO ist heute der am weitesten verbreitete Standard im Palmölsektor. 15,10 Millionen Tonnen Palmöl (auf 4,74 Millionen Hektar), das entspricht 19 Prozent der globalen Produktion, sind nach ihm zertifiziert. Insgesamt hat er 5.407 Mitglieder (2022) entlang der gesamten Lieferkette.
Der RSPO ist also kein Öko-Label. Er signalisiert, dass auf den Plantagen freiwillig mehr für Naturschutz und Menschenrechte getan wird als gesetzlich vorgeschrieben. Was zunächst nach nicht viel klingt, ist in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indonesien und Malaysia ein wichtiger Schritt.[5]
Im Jahr 2022 lag die zertifizierte Anbaufläche von nachhaltigem Palmöl bei 3,5 Millionen Hektar. In den vergangenen 14 Jahren ist die Anbaufläche für zertifiziert nachhaltiges Palmöl stark gestiegen. Im Jahr 2008 lag die zertifizierte Anbaufläche noch bei rund 106.000 Hektar.[6]
Ölpalmen haben viel höhere Erträge als alle anderen Pflanzenölpflanzen. Sie benötigen vier- bis zehnmal weniger Land als andere Pflanzenölkulturen, um die gleiche Menge Öl zu gewinnen. Und diese effiziente Landnutzung macht Palmöl für Produzenten und Käufer auf der ganzen Welt attraktiv.
Der Wechsel zu alternativen Pflanzenölen zu Palmöl würde diese Auswirkungen jedoch nicht verringern. Sonnenblumen, Raps und Soja haben viel geringere Erträge pro Hektar als Ölpalmen, sodass tatsächlich mehr Land benötigt würde, um die gleiche Menge Öl zu produzieren.
2.3 Kaffee
Am 6. Juni 2024 wurde die Schweizer Plattform für nachhaltigen Kaffee im Beisein von Bundesrat Guy Parmelin in Bern lanciert. Sie hat zum Ziel, die Nachhaltigkeit im Kaffeesektor mit vereinten Kräften zu stärken. Dahinter stehen die Schweizer Kaffeebranche, das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Nichtregierungsorganisationen und Vertreter aus der Wissenschaft.[7]
Die wichtigsten Schweizer Branchenverbände, die Swiss Coffee Trade Association, Procafé und die Schweizer Röstergilde unter dem Dach der Interessengemeinschaft Kaffee Schweiz, das SECO, Schweizer Nichtregierungsorganisationen und Vertreter aus der Wissenschaft haben die Schweizer Plattform für nachhaltigen Kaffee ins Leben gerufen. Mit der Unterzeichnung der Absichtserklärung verpflichten sie sich, einen konkreten Beitrag zu einem Kaffeesektor zu leisten, der die Menschenrechte respektiert, das Klima und die Umwelt schützt, Kaffee nachhaltig beschafft und so die Lebensbedingungen der Produzentinnen und Produzenten und ihrer Familien verbessert.
2.4 Gummi/Kautschuk
Der Globale Runde Tisch für Nachhaltigen Kautschuk (GPSNR[8]) vereint Mitgliedsunternehmen (zum Beispiel der Autoindustrie, Händler, Kautschukproduzenten etc.), die sich dazu verpflichten, zwölf Prinzipien des fairen, sozial verantwortlichen und ökologisch verträglichen Naturkautschuks in ihren Einkaufspraktiken und ihren Lieferketten zu verankern. Neben der Einhaltung von Menschenrechten, Verbesserung der Lebensbedingungen von kleinbäuerlichen Produzenten und dem Schutz der Ökosysteme gehören auch Dokumentationspflichten und die regelmässige Überprüfung der Fortschritte dazu. Neben dem WWF, weiteren Nichtregierungsorganisationen sind auch Kleinbauern ebenfalls Mitglieder dieser Plattform und setzen sich für eine hohe Standardsetzung der Prinzipien ein.
2.5 Nachhaltigkeit in Freihandelsabkommen
Das erste Modellkapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung in FHA wurde 2010 von der Schweiz und ihren EFTA-Partnern entwickelt. Zwischen 2017 und 2020 wurde das Modellkapitel überarbeitet.[9]
Hauptelemente des überarbeiteten Modellkapitels der EFTA-Staaten sind allgemeine Grundsätze, Schutz der Arbeitnehmerrechte, Klimaschutz, nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, Erhaltung der Biodiversität, nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresressourcen, nachhaltige Landwirtschaft, nachhaltige Lieferketten, verantwortungsvolle Unternehmensführung, integrative wirtschaftliche Entwicklung und Chancengleichheit, Überwachung der Nachhaltigkeitsbestimmungen sowie die Stärkung der Streitbeilegung.
Ein Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung wurde in die EFTA-Freihandelsabkommen mit Moldawien (unterzeichnet 2023), Montenegro (unterzeichnet 2011), Bosnien und Herzegowina (2013), den zentralamerikanischen Staaten (2013), Georgien (2016), den Philippinen (2016), Ecuador (2018), Indonesien (2018) und Mercosur (noch nicht unterzeichnet) aufgenommen. Das Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Hongkong-China (2011) enthält ein Kapitel über Handel und Umwelt, während parallel dazu ein Nebenabkommen über Arbeit abgeschlossen wurde. Ein Kapitel wurde auch im Rahmen einer umfassenden Überprüfung des Freihandelsabkommens mit der Türkei (2018) hinzugefügt und den bestehenden Freihandelsabkommen mit Albanien (2015) und Serbien (2015) hinzugefügt.
Im Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Indonesien wird nur RSPO-zertifiziertem Palmöl eine präferentielle Behandlung gewährt, es ist davon auszugehen, dass auch im FHA zwischen den EFTA-Staaten und Malaysia eine entsprechende Bestimmung vereinbart wird.
3. Betroffenheit der Mitgliedsunternehmen von scienceindustries
Weltweit werden Palmöl/Palmkernöl sowie deren Derivate (mit Zolltarifnummern ex 2905.45, 2915.70, 2915.90, 3823.11, 3823.12, 3823.19, 3823.70) in der Produktion von Lebens‐ und Futtermitteln (68%), in der Produktion von Kosmetika, Detergentien, Reinigungsmitteln und anderen industriellen Produkten (27%), wie z.B. Bioschmierstoffe, sowie als Energiequelle (Biodiesel; 5%) eingesetzt.
Die USDA prognostiziert für das Jahr 2022/23 einen weltweiten Verbrauch von Palmöl in Höhe von über 77,8 Millionen Tonnen. Davon entfallen etwa 50,68 Millionen Tonnen auf die Verarbeitung in der Lebensmittelbranche und 26,43 Millionen Tonnen auf die Verarbeitung in der Industrie, zum Beispiel in Form von Kosmetik oder Biodiesel.
Holzprodukte werden vor allem im Bereich von Primär- und Sekundärverpackungen/Transport (Karton, Papier, Holzpaletten/-palettenumrandungen/-verpackungen), aber auch zwecks Dokumentationen, verwendet. Diese umfassen folgende Zolltarifnummern: 4405, 4415, HS Kapitel 47 und 48.
Produkte aus Kautschuk werden auch in der chemisch-pharmazeutischen Industrie eingesetzt, wie z.B. Förderbänder und Treibriemen aus vulkanisiertem Kautschuk, Luftschläuche aus Kautschuk, Kleidung und Bekleidungszubehör (einschliesslich Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe) für alle Zwecke aus Weichkautschuk sowie sonstige Waren aus Weichkautschuk, a. n. g. in Kapitel 40. Diese umfassen folgende Zolltarifnummern: ex 4010, ex 4013, ex 4015, ex 4016.
4. Position von scienceindustries – Globales Problem muss auf globaler Ebene gelöst werden
Das Commitment der Chemie-, Pharma- und Life Sciences Industrie zur Nachhaltigkeit orientiert sich an der Agenda 2030, die 2015 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommen wurde und die einen Plan für Wachstum und Wohlstand für die Menschen und den Planeten jetzt und in Zukunft darstellt.[10] Zu den Schwerpunktthemen gehören u.a. ein schonender und gleichzeitig effizienter Umgang mit Ressourcen (Nachhaltigkeit durch Kreislaufwirtschaft) wie auch ein effektiver und proaktiver Klimaschutz. Eine nachhaltige Ressourcennutzung umfasst die verantwortungsbewusste Ressourcenbeschaffung, die Nutzung alternativer Rohstoffe sowie Lösungen, wie wir diese möglichst lange im Kreislauf halten können. Dabei werden soziale, ökologische und Governance-Aspekte berücksichtigt, um sicherzustellen, dass die Auswirkungen auf die Umwelt minimiert werden und eine sozialverantwortliche Geschäftspraxis gewährleistet ist. Das Positionspapier «Proaktiver und effektiver Klimaschutz in den Chemie-, Pharma- und Life Sciences Industrien» hält die zentralen Elemente auf dem Weg zur Klimaneutralität fest sowie Forderungen zu den dazu benötigten Rahmenbedingungen (inkl. konkrete Beispiele von Produkten und Dienstleistungen unserer Mitgliedsunternehmen).[11]
Die Abholzung wichtiger Wälder ist ein globales Problem, welches auf globaler Ebene gelöst werden muss. Restriktive, unilaterale Massnahmen zur Erreichung der Ziele erachtet scienceindustries als weder sinnvoll noch zielführend.
Die Übernahme der EUDR oder EUDR-ähnlichen Massnahme durch die Schweiz beurteilt scienceindustries sehr kritisch, da:
- deren Umsetzung sowohl in Hersteller- wie auch in Empfängerländern zu einer überbordenden Bürokratie führt,
- wesentliche und geeignete Instrumente für die Umsetzung der EUDR in der EU aktuell fehlen,
- sie zu einer signifikanten Schwächung des Wirtschaftsstandortes führt und somit die Versorgungssicherheit bedroht,
- komplizierte Lieferketten betroffen sein können, die den Nachweis des Ursprungs der Waren erschweren,
- benötigte Daten nicht verfügbar sein können,
- Kleinerzeuger in den Herstellerländern u.U. ihrer Lebensgrundlage beraubt werden,
- betroffene Lieferländer z.T. nicht über die entsprechenden technischen, administrativen und finanziellen Ressourcen verfügen, die zur Einhaltung der EUDR-Vorgaben nötig sind,
- die Umsetzung solider Sorgfaltspflichtsysteme Investitionen in Technologien wie Satellitenüberwachung oder Blockchain zur Rückverfolgbarkeit erfordert,
- die Schulung des Personals und die mögliche Durchführung von Vor-Ort-Prüfungen in den Herkunftsregionen die finanzielle Belastung zusätzlich erhöhen sowie
- die Budgets kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) belasten kann, die möglicherweise nicht über die Ressourcen für solche Aufrüstungen verfügen,[12]
- die Einstufungen in "hohes Risiko", "geringes Risiko" oder "Standardrisiko" weitreichende Auswirkungen auf die Fähigkeit dieser Länder hat, relevante Rohstoffe zu exportieren.
Fazit:
scienceindustries unterstützt die Position des Bundesrates, bis auf weiteres von einer Anpassung des Schweizer Rechts an die EUDR abzusehen. Zielführender ist die Förderung global vereinbarter Standards. Zudem bieten freiwillige Massnahmen in Form von Branchenvereinbarungen und bestehende Initiativen zur internationalen Zusammenarbeit im Bereich Capacity Building bereits heute Lösungsansätze.
Um den Marktzugang zur EU sicherzustellen, brauchen stark betroffene Unternehmen:
- einen Zugang zum EU-Reporting-System aus der Schweiz
- eine Lösung, die sicherstellt, dass alle Rohwaren und Waren, die während der Übergangszeit in
Nicht-EU-Ländern/CH verzollt werden, auch von der EUDR ausgeschlossen werden
Der Bundesrat muss mit der EU-Kommission die Voraussetzungen für den Zugang zum EU-Informationssystem für Nicht-EU-Unternehmen sowie für die gegenseitige Anerkennung der entsprechenden Vorschriften klären - um einen reibungslosen Transfer von Sorgfaltspflichten und Informationen zu gewährleisten.
Der Bundesrat muss eine strukturierte Dialogplattform mit den zuständigen Dienststellen der Europäischen Kommission und den zuständigen Behörden der wichtigsten EU-Mitgliedstaaten einrichten, durch die Waren/Produkte, die in den Geltungsbereich der EUDR fallen, in die/aus der Schweiz verbracht werden, damit Fälle von z.B. EUDR-Nichtkonformität diskutiert und konstruktiv angegangen werden können.
[1] VERORDNUNG (EU) 2023/1115 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 31. Mai 2023 über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010