Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences

Publikationen - Positionspapiere

Greening HS - der falsche Weg zu mehr Nachhaltigkeit

29.11.2024

Zusammenfassung

Das wichtigste Instrument für die Identifizierung und Klassifizierung von Waren auf globaler Ebene ist das Harmonisierte System (HS)[1] der Weltzollorganisation (WZO).

In der WZO wird die bessere Überwachung und Messung des internationalen Handels mit bestimmten Produkten, die entweder ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellen oder positive Auswirkungen auf dieselben haben, diskutiert.

Auf der Grundlage früherer Diskussionen und Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) über die Identifizierung von "Umweltgüter" wurden drei mögliche Ansätze für eine "Ökologisierung des HS" vorgeschlagen:

  • Identifizierung von Produkten, die dazu beitragen, ein bestimmtes Umweltziel zu erreichen
  • Identifizierung von Produkten, die auf umweltfreundliche Weise hergestellt wurden
  • Identifizierung von Produkten, die zum Schutz der Umwelt oder in einer Weise verwendet werden, die ihr schaden können

scienceindustries als Vertreterin von Unternehmen, die in globale Lieferketten eingebettet sind und tausende Ausgangsstoffe verwenden und tausende Produkte mit unterschiedlichsten Verfahren herstellen, beurteilt die Einführung "grüner Zolltariflinien" kritisch.

Die Initiative für die Einführung einen "grünen" HS-Systems verfolgt einen falschen Ansatz, da:

  1. in Ermangelung einer global anerkannten Definition für „Umweltgüter“ die Gefahr besteht, dass die "grünen" Zolltarifnummern auf arbiträr definierten Produktelisten von Endprodukten basieren, ohne die entsprechenden Vorprodukte und –leistungen einzubeziehen,
  1. sie in der Umsetzung zu Abgrenzungs- und Anpassungsproblemen (dual-use-Problematik) führt und damit die Zollbürokratie massiv erhöht,
  1. sie eine Unterscheidung zwischen „guten“ (Umweltgüter) und „schlechten“ Gütern (andere Güter) impliziert;
  1. sie zu einer Diskriminierung von Gütern führt, die nicht als "Umweltgüter" beurteilt werden,
  1. sie die Entwicklungsländer diskriminiert, in denen Vorprodukte für Produkte mit "grünen" Zolltarifnummern hergestellt werden,
  1. sie zu einer Erhöhung der Komplexität des aktuellen HS mit bereits heute rund 5'000 6-stelligen Zolltarifnummern führt.

Zudem würde eine Differenzierung zwischen "grünen" und "nicht-grünen" Produkten/Zolltariflinien zu mehr Komplexität und Aufwand seitens Unternehmen und Zollverwaltungen und zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen, das Missbrauchspotenzial erhöhen, Vorschub für Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen leisten und hätte voraussichtlich einen beschränkten Lenkungseffekt aufgrund der Umsetzungskosten durch Datenbeschaffung, Monitoring und Nachweispflichten.

Ein ambitionierterer Ansatz im Rahmen der WTO für weitergehende Liberalisierungen in den Bereichen Zoll und Investitionen dient dem nachhaltigen Wachstum und der nachhaltigen Entwicklung mehr als die punktuelle Zollliberalisierung einzelner Warengruppen, insbesondere in den wichtigen Zollkapiteln 28 bis 39, ohne die sogenannte "Umweltgüter" gar nicht produziert werden könnten.


Ausgangslage


Das wichtigste Instrument für die Identifizierung und Klassifizierung von Waren auf globaler Ebene ist das Harmonisierte System (HS)[1] der Weltzollorganisation (WZO). Die Pandemie, die Klimakrise, andere Umweltprobleme wie die Anhäufung von Kunststoffen in der Umwelt, die Fragilität der Lebensmittelsicherheit, das Modell der Kreislaufwirtschaft - all dies sind Beispiele für kritische, dringende oder neu aufkommende Themen, die viele Regierungen, internationale Organisationen und die Wissenschaft beschäftigen und auch Anlass für Anfragen an die WZO über die aktuellen Klassifizierungen und die Frage war, wie die verfügbaren Daten und die Spezifität der Klassifizierung im HS für kritische Güter verbessert werden könnten.

Dies führt zu einer zunehmenden Forderung nach Überwachung und Messung des internationalen Handels mit bestimmten Produkten, die entweder ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellen oder positive Auswirkungen auf dieselben haben.

Die 2014 lancierten Verhandlungen über die Liberalisierung des Handels mit umweltfreundlichen Gütern (EGA: Environmental Goods Agreement)[2] verliefen nach 18 Verhandlungsrunden im Sand. Trotz zahlreicher Erfolge zwischen 2014 und 2016 konnte der für Ende 2016 prognostizierte Abschluss des EGA nicht erreicht werden. Neue Initiativen in der WTO (wie z.B. Agreement on Climate Change, Trade and Sustainability, ACCTS[3], Trade and Environmental Sustainability Structured Discussions (TESSD)[4] ) wurden lanciert.

Auf der Grundlage früherer Diskussionen und Verhandlungen über die Identifizierung von "Umweltgüter" wurden drei mögliche Ansätze für eine "Ökologisierung des HS" vorgeschlagen:

  • Identifizierung von Produkten, die dazu beitragen, ein bestimmtes Umweltziel zu erreichen
  • Identifizierung von Produkten, die auf umweltfreundliche Weise hergestellt wurden
  • Identifizierung von Produkten, die zum Schutz der Umwelt oder in einer Weise verwendet werden, die ihr schaden können

Die Industrien Chemie Pharma Life Sciences (CPLS) repräsentieren eine sehr komplexe Branche der Schweizer Wirtschaft: Für die Produktion von tausenden von Produkten werden tausende Ausgangsstoffe ver- und komplexe Herstellungsverfahren angewendet. Die Produkte werden in zahlreichen Anwendungsbereichen - Gesundheit, Energie, Transport, Ernährung, Konsumgüter, Bau, Elektronik sowie Maschinen und Metalle – eingesetzt und tragen zu mehr Nachhaltigkeit bei.

Aktuell gibt es jedoch keine global anerkannten Kriterien, die für die Identifizierung sogenannter "Umweltgüter" herangezogen werden könnten. Die einfache Überprüfbarkeit des HS-Codes ist aus Sicht scienceindustries unverzichtbar und muss als wichtiges Kriterium bei möglichen Erweiterungen des HS-Codes mit einbezogen werden.

Mit der Einführung des Zollabbaus für Industriegüter[5] wurde der Schweizerische Zolltarif vereinfacht und so die administrativen Aufwände verringert.

  1. Generelle Bemerkungen

1.1 Aufbau des HS Systems der Weltzollorganisation WZO

Das "HS" bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, die von der Weltzollorganisation (WZO) entwickelte internationale Nomenklatur.

Das Harmonisierte System (HS) ist eine standardisierte numerische Methode zur Klassifizierung von gehandelten Produkten. Das HS-System besteht aus etwa 5.000 Warengruppen, die jeweils durch einen eindeutigen 6-stelligen Code gekennzeichnet sind. Damit bietet es einen gemeinsamen Rahmen für die Klassifizierung von Waren für Zoll- und Kontrollzwecke. Dies fördert die Konsistenz von Zolltarifen und Handelsdaten weltweit.

Die mehr als 200 Länder und Volkswirtschaften fügen dem 6-stelligen Code dann weitere Ziffern für ihre eigenen nationalen Zolltarife hinzu. Einreihungsentscheidungen können gerichtlich angefochten werden, daher müssen die Produktkategorien so gestaltet sein, dass die objektiven Merkmale von allen Zollverwaltungen geprüft werden können, und nicht nur von denen mit den fortschrittlichsten Labors. Die Prüfkapazitäten sind weltweit sehr unterschiedlich.

Mehrere neue Produktkategorien wurden im Laufe der letzten Änderungen in das HS aufgenommen um Produkte oder Produktkategorien, die für die Umwelt relevant sind, sichtbar zu machen, z.B. "Elektroschrott" und LED-Beleuchtung in HS2022.

1.2 Umweltgüter – klare Definitionen fehlen

Es gibt keine einheitlichen, international geltenden Kriterien für Umweltgüter respektive für grüne Zolltarifnummern. Die Kriterien werden von den jeweiligen Ländern und Wirtschaftsräumen individuell festgelegt. Mögliche Kriterien können folgende Themen beinhalten:

1. Energieeffizienz:
- Produktionsverfahren mit hoher Energieeffizienz/tiefer GHG-Emission
- Verwendung erneuerbarer Energien
- Energiesparende Produktmerkmale

2. Materialzusammensetzung:
- Hoher Anteil an recycelten oder nachwachsenden Rohstoffen
- Vermeidung von schädlichen Chemikalien und Substanzen

3. Kreislaufwirtschaft:
- Einfache Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit
- Vermeidung von Abfall und Schadstoffemissionen

4. Transport und Logistik:
- Umweltfreundliche Transportmittel und Logistikkonzepte
- Minimierung von Treibhausgasemissionen

5. Produktionsanlagen und deren Teile, welche emissionsärmere und / oder energieärmere Prozesse erlauben

6. Soziale und ethische Kriterien:
- Faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette
- Einhaltung von Menschenrechtsstandards

Je nach Produktbereich und Zielmarkt können die genauen Kriterien variieren. Oft sind auch Kombinationen aus verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten möglich.

1.3.  Beurteilung der Lösungsansätze

1.3.1 Identifizierung von Produkten, die dazu beitragen, ein bestimmtes Umweltziel zu erreichen

Die EU[6] bezeichnet Umweltgüter und -dienstleistungen als Produkte, die hergestellt oder Dienstleistungen erbracht werden, deren Hauptzweck darin besteht, der Vermeidung oder Minimierung von Verschmutzung, Degradation oder Erschöpfung der natürlichen Ressourcen zu dienen, zur   Behebung von Schäden an Luft, Wasser, Abfall, Lärm, biologischer Vielfalt und Landschaften beizutragen, bei der Verringerung, Beseitigung, Behandlung und Bewältigung von Verschmutzung, Schädigung und Erschöpfung natürlicher Ressourcen eingesetzt zu werden sowie bei der Durchführung anderer Tätigkeiten wie Messung und Überwachung, Kontrolle, Forschung und Entwicklung, Bildung, Ausbildung, Information und Kommunikation im Zusammenhang mit Umweltschutz oder Ressourcenmanagement eingesetzt zu werden.

Gerade Produkte der chemisch-pharmazeutischen Industrie lassen sich aufgrund ihrer breiten Anwendungsgebiete und ihren chemischen, physikalischen und toxikologischen Eigenschaften nicht einfach gemäss den oben dargestellten Kriterien in "Umweltgüter" und "nicht-Umweltgüter" einteilen. Die Diskussionen in Genf haben gezeigt, dass der Versuch, eine Liste von "Umweltgütern" zu erstellen, in einer willkürlichen Zusammenstellung von Gütern resultiert, die subjektiv als umweltfreundlich angesehen werden. Eine erhebliche Anzahl anderer Güter, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht auf der Liste stehen, würden dementsprechend diskriminiert. Die Chemie- und andere Grundstoffindustrien stellen viele Produkte her, ohne die die Herstellung von "Umweltgütern" nicht möglich wäre. Chemikalien werden für die Herstellung von Photovoltaikpanels, Sonnenkollektoren, Dämmstoffen oder Windrädern benötigt. Kunststoffe ermöglichen erhebliche Gewichtseinsparungen, die wiederum zu geringeren Treibstoffverbrauch und somit geringeren CO2-Emissionen führen. Sogar Waschmittel, mit welchen das Waschen bei niedrigen Temperaturen ermöglichen, könnten als umweltfreundlich angesehen werden.

Eine klare Trennlinie gibt es nicht, da schlussendlich die entsprechende Anwendung den Ausschlag für die Einreihung als "Umweltgut" gibt. Die würde jedoch die einerseits die Logik des HS auf den Kopf stellen und andererseits bei einer Differenzierung im HS dasselbe enorm aufblasen. Letzteres hätte zur Folge, dass die mit dem Zollabbau für Industriegüter und der Vereinfachung der Zolltarifstruktur erreichte administrative Erleichterung für Unternehmen und Behörden zunichte gemacht würde.

Listen sind statisch. Sie können nur den aktuellen Stand der Technologie abbilden und berücksichtigen nicht zukünftige, neue innovative Produkte. Damit werden diese Produkte im Zeitraum bis zur nächsten HS-Aktualisierung, welche in der Regel 5 Jahre dauert, benachteiligt.

Entsprechende Monitoringsysteme und Nachweispflichten für als "Umweltgüter" eingereihte Waren müssten eingeführt sowie entsprechende Prüfungen durchgeführt werden, um allfälligen Missbräuchen vorzubeugen.

scienceindustries beurteilt diesen Ansatz wegen der Definitionsprobleme, der konzeptionellen und dynamischen Probleme von Listenansätzen, der potentiellen inhärenten Diskriminierung von Vorprodukten sowie der praktischen Umsetzung kritisch. Die Schaffung einer Umweltgüterliste, auch wenn einzelne Chemikalien darin enthalten wären, ist keine Lösung. Eine Ausweitung um einzelne Produkte führt sofort zur Diskriminierung anderer Produkte und zur Bevorzugung von Einzelinteressen einzelner Akteure. Schlussendlich führt dieser Ansatz zu einer Aufblähung der Zolltarifstruktur und macht die erreichte administrative Erleichterung durch den Industriezollabbau zunichte. Soll der Handel mit entsprechenden Gütern gefördert werden, bietet sich für unsere Produkt die Weiterentwicklung des WTO-Chemiezolleliminierungsabkommens respektive die Ausweitung des Freihandelsabkommensnetzes an.

1.3.2 Identifizierung von Produkten, die auf umweltfreundliche Weise hergestellt wurden

Definitionsprobleme stellen sich auch beim Begriff "umweltfreundliche Herstellung". Es gibt keine international vereinbarten Standards oder Definitionen.

In der chemisch-pharmazeutischen Industrie werden unterschiedlichste Herstellungsverfahren und Ausgangsstoffe eingesetzt. Neben der chemischen Synthese kommen auch biotechnologische Verfahren oder die Rezyklierung von Produkten zur Anwendung. Dementsprechend können auch die für die Herstellung der Endprodukte benötigten Ausgangsstoffe mittels der entsprechenden Verfahren hergestellt werden. Jedes dieser Verfahren braucht Energie, diese kann unterschiedlicher Natur sein: Elektrizität (aus erneuerbaren oder fossilen Quellen), fossile Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) oder erneuerbare Energie (wie z.B. Biogas).

Die Komplexität lässt sich am Beispiel von Ethanol (Alkohol) sehr einfach aufzeigen:
Ethanol kann aus fossilen Ausgangstoffen hergestellt werden oder aus nachwachsenden Rohstoffen (Bioethanol). Bio-Ethanol aus Zuckerrohr hat eine viel bessere CO2-Bilanz als Bioethanol aus Zuckerrüben oder Mais. Welches der Bioethanole sollten als umweltfreundlich angesehen werden? Und sollte Bioethanol in Anbetracht seiner potenziellen negativen Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung wirklich als umweltfreundlich betrachtet werden? Ethanol wie auch Bioethanol unterscheiden sich chemisch nicht und können somit auch nicht durch gängige chemische Analytik unterschieden werden. Dementsprechend wären umfassende Nachweispflichten einzuführen, um potentielle Betrügereien zu verhindern.

scienceindustries beurteilt aufgrund fehlender international vereinbarten Standards respektive Definitionen, dem damit verbundenen immensen administrativen Aufwand sowie der fehlenden Möglichkeit einer praktikablen Überprüfbarkeit der Prozesse und Produktionsmethoden (PPMs) bei Produkten der chemisch-pharmazeutischen Industrie, die Einführung grüner Zolltarifnummern auf der Basis einer "umweltfreundlichen Herstellung" sehr kritisch.

1.3.3 Identifizierung von Produkten, die zum Schutz der Umwelt oder in einer Weise verwendet werden, die ihr schaden können

Die HS-Nomenklatur umfasst ungefähr 5000 Warengruppen, die durch einen 6-stelligen Code bezeichnet und gemäss festen Regeln in einer rechtlichen und logischen Struktur angeordnet sind. Das HS ist nach Wirtschaftszweigen oder Materialkomponenten gegliedert. Das HS ist in 21 Abschnitte gegliedert, die wiederum in 96 Kapitel unterteilt sind (Kapitel 1 bis 97, wobei Kapitel 77 für eine mögliche künftige Verwendung durch das HS reserviert ist). Die 96 HS-Kapitel sind in der aktuellen Ausgabe 2022 des HS weiter in 1228 Positionen und 5612 Unterpositionen unterteilt. Das HS unterscheidet dabei nicht zwischen umweltfreundlichen und umweltschädlichen Produkten.

Ein solche Unterscheidung ist gerade im Bereich der Chemie Pharma Life Sciences nicht möglich. Als gefährlich eingestufte Stoffe können durchaus bei korrekter Anwendung einen positiven Effekt auf Gesundheit und Umwelt haben (Güter mit doppeltem Verwendungszweck): Chlor wird für die Entkeimung des Trinkwassers benötigt und hilft so, das Leben von Millionen von Menschen zu retten. Bei unsachgemässer Verwendung schadet Chlor jedoch der Umwelt und der menschlichen Gesundheit. Kunststoffe tragen z.B. dazu bei, dass durch Gewichtseinsparungen weniger CO2 beim Transport emittiert wird, dass Lebensmittel hygienisch verpackt werden, dass natürliche Ressourcen geschont werden, dass Gebäude effizient gedämmt werden und dass Elektrokabel effizient isoliert werden. Andererseits können sie bei unsachgemässer Entsorgung lange in der Umwelt verbleiben.

Erschwerend kommt hinzu, dass für den Exporteur die Verwendung seines Produktes im Zielland nicht bekannt sein kann. Um die korrekte Zolltarifnummer angeben zu können, müssten weitgehende Abklärung vor dem Versand durchgeführt werden. Dies ist insbesondere als sehr schwierig erweisen, wenn es sich beim Warenempfänger um einen Chemikalienhändler handelt. Sollte dieser die Ware an Lager nehmen und für unterschiedliche Anwendungen anbieten, ist es sogar unmöglich, dies beim Grenzübertritt anzugeben.

Eine Unterscheidung nach Endverwendung/Zweck an der Grenze und somit der Kontrolle der Richtigkeit der Zollanmeldung ist aus unserer Sicht unmöglich, ausser die Zollbehörden überprüfen diese mit Audits bei Importeuren. Dies dürfte die Zollbehörden, gerade bei einer hohen Anzahl an Importeuren, vor eine grosse Herausforderung stellen.

Eine Kategorisierung basierend auf den Gefahreneinstufungen der Stoffe oder auf deren Einfluss auf die Umwelt ist weder sinnvoll noch zielführend. Entscheidend ist, wie die entsprechenden Stoffe verwendet und am Ende des Lebenszyklus verwertet werden. Das geltende System der Zolltariflinien der Weltzollorganisation (WCO) stützt sich im Bereich der chemischen Produkte auf deren chemische Struktur und Verwendung und nicht auf ethische Bewertungen ab. Mit der Einführung grüner Zolltarifnummern müsste konsequenterweise im Zolltarif für jede Tariflinie eine Unterscheidung zwischen „Umweltgut“ und anderen Gütern ermöglicht werden. Dies würde zu einem extremen administrativen Mehraufwand für Datenbeschaffung und Monitoring seitens der Unternehmen und den Zollbehörden führen, ganz zu schweigen von der Missbrauchsanfälligkeit eines derartigen Systems.
 

  1. Kosten – Nutzen – Verhältnis

Aus Sicht von scienceindustries überwiegen die Nachteile einer Einführung von "grünen" Zolltarifnummern:

1. Komplexität und Aufwand:
Die Einführung und Verwaltung eines Systems mit speziellen grünen Zolltarifnummern kann sehr komplex und mit hohem administrativem Aufwand verbunden sein. Dies kann für Unternehmen und Zollbehörden eine erhebliche Herausforderung darstellen.

2. Abgrenzungsschwierigkeiten:
Es kann schwierig sein, klar zu definieren, welche Produkte oder Technologien genau als "grün" gelten sollen und damit eine entsprechende Zolltarifnummer erhalten. Interpretationsspielräume können zu Rechtsunsicherheit führen. Die Anpassung und die Änderung von Zolltarifnummern im HS der WZO dauert Jahre.

3. Missbrauchspotenzial:
Es besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen versuchen, Produkte als "grün" deklarieren zu lassen, um von Zollvergünstigungen zu profitieren, ohne dass diese Einstufung gerechtfertigt ist. Kontrollmechanismen und der Aufbau eines entsprechenden Monitoringsystems und die Erbringung der benötigten Nachweise sind erforderlich.

4. Handelshemmnisse:
Durch die Einführung spezieller grüner Zolltarifnummern könnten neue Handelshemmnisse entstehen, wenn andere Länder diese nicht anerkennen oder kompatible Systeme fehlen. Dies könnte den internationalen Handel behindern.

5. Wettbewerbsverzerrungen:
Wenn die Vergünstigungen für "grüne" Produkte nicht ausgewogen gestaltet sind, können sich Wettbe-werbsverzerrungen zwischen Unternehmen und Ländern ergeben.

6. Beschränkter Lenkungseffekt:
Zollvergünstigungen allein reichen möglicherweise nicht aus, um den gewünschten Lenkungseffekt hin zu mehr Umweltschutz zu erzielen. Weitere Massnahmen wären erforderlich.

  1. Fazit

Die Initiative für die Einführung einen "grünen" HS-Systems verfolgt einen falschen Ansatz, da:

  1. in Ermangelung einer global anerkannten Definition für „Umweltgüter“ die Gefahr besteht, dass die "grünen" Zolltarifnummern auf arbiträr definierten Produktelisten von Endprodukten basieren, ohne die entsprechenden Vorprodukte und –leistungen einzubeziehen,
  1. sie in der Umsetzung zu Abgrenzungs- und Anpassungsproblemen (dual-use-Problematik) führt und damit die Zollbürokratie massiv erhöht,
  1. sie eine Unterscheidung zwischen „guten“ (Umweltgüter) und „schlechten“ Gütern (andere Güter) impliziert;
  1. sie zu einer Diskriminierung von Gütern führt, die nicht als "Umweltgüter" beurteilt werden,
  1. sie die Entwicklungsländer diskriminiert, in denen Vorprodukte für Produkte mit "grünen" Zolltarifnummern hergestellt werden,
  1. sie zu einer Erhöhung der Komplexität des aktuellen HS mit bereits heute rund 5'000 6-stelligen Zolltarifnummern führt.

Ein ambitionierterer Ansatz im Rahmen der WTO für weitergehende Liberalisierungen in den Bereichen Zoll und Investitionen dient dem nachhaltigen Wachstum und der nachhaltigen Entwicklung mehr als die punktuelle Zollliberalisierung einzelner Warengruppen, insbesondere in den wichtigen Zollkapiteln 28 bis 39, ohne die sogenannte "Umweltgüter" gar nicht produziert werden könnten.

 


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