Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences
André Bardow, Professor Energie- und Prozessystemtechnik, ETH Zürich

Publikationen - «Carte Blanche» Gastbeiträge

André Bardow, Professor Energie- und Prozessystemtechnik, ETH Zürich

Möge der Müll mit uns sein!

08.10.2024

Eine Industrie innerhalb der planetaren Grenzen ist nicht nur besser für die Umwelt, sondern auch für die Industrie selbst. Die Transformation dahin benötigt alle Optionen. Dabei stellt die Kreislaufwirtschaft den Königsweg. Gleichzeitig müssen wir den Einsatz von Chemie neu überdenken.

Unser Planet verdankt Chemie, Pharma und Life Sciences viel Wohlstand. Dieser Erfolg hat aber auch dunkle Seiten: vom Mikroplastik im Meer bis zu CO2 in der Atmosphäre. Wir müssen somit die positiven Aspekte zu bewahren und negative Folgen überwinden. Die CO2-Problematik erfordert die Abkehr von fossilen Rohstoffen, eine doppelte Herausforderung für unsere Industrien, da fossile Ressourcen für uns sowohl Energie als auch Kohlenstoff liefern. Die Suche nach der Kohlenstoff-Quelle der Zukunft ist dabei noch weitgehend offen.

Drei Wege zu Kohlenstoff: Biomasse, CO2, Recycling
Erneuerbarer Kohlenstoff lässt sich auf drei Wegen erschliessen: über Biomasse, CO2 oder aus Abfällen. Alle Wege werden derzeit intensiv untersucht, aber einige Prinzipien lassen sich bereits ableiten: CO2-neutrale Industrien der Chemie, Pharma und Life Sciences werden alle Quellen nutzen. Die spezifische Wahl ergibt sich sowohl aus regionalen Potenzialen als auch aus dem molekularen Charakter der Produkte, für die manchmal Biomasse und in anderen Fällen CO2 den besseren Ausgangspunkt bietet.

Wo diese Wege übermässig schwierig sind, werden wir sogar auf fossile Ressourcen mit konsequentem CO2-Abfang und Speicherung zurückgreifen müssen. Allerdings sind auch Biomasse und CO2 nicht ohne Nachteile: Landnutzung und Energiebedarf begrenzen ihr Potenzial. Eine CO2-basierte Chemieindustrie würde 75% der weltweiten Elektrizität erfordern – aus erneuerbaren Quellen (1) .

Ihr Produkt ist Ihr bester Rohstoff
Der Königsweg hin zu einer nachhaltigeren Industrie liegt daher in der Kreislaufwirtschaft: sie reduziert sogar den Bedarf an Primärenergie gegenüber der lineare fossilen Wertschöpfung (2). Schlüssel ist der Erhalt der molekularen Strukturen und der darin gespeicherten Energie durch mechanisches und chemisches Recycling. Zukünftig sollte daher gelten: Ihr Produkt von heute ist Ihr bester Rohstoff von morgen.

Effizienz und Resilienz durch eine Kreislaufwirtschaft
Die Kreislaufwirtschaft schont nicht nur das Klima, sondern auch die anderen planetaren Grenzen vom Ozon bis zur Biodiversität. Für die Schweiz bietet die Kreislaufwirtschaft zudem die Chance, lokale Ressourcen zu nutzen, Abhängigkeiten zu verringern und Resilienz zu stärken. Unsere Firmen beherrschen zudem die erforderlichen komplexen Wertschöpfungsketten.

Wie viel Chemie brauchen wir?
Wir müssen allerdings auch den Bedarf an Produkten hinterfragen. Selbst bei optimalen Prozessen und Recyclingquoten von über 75% könnte die Kunststoff-Industrie das prognostizierte Wachstum bis 2050 nicht innerhalb der planetaren Grenzen bewältigen (3). Der Slogan „Reuse, reduce, recycle“ bleibt somit aktueller denn je und führt uns zu einer besseren, nachhaltigeren Industrie.

(1) A. Kätelhön, R. Meys, S. Deutz, S. Suh, A. Bardow. “Climate change mitigation potential of carbon capture and utilization in the chemical industry”. PNAS, Vol. 116 (23), 11187-11194, 2019.https://doi.org/10.1073/pnas.1821029116

(2) R. Meys, A. Kätelhön, M. Bachmann, B. Winter, C. Zibunas, S. Suh, A. Bardow. Achieving net-zero greenhouse gas emission plastics by a circular carbon economy.Science374,71-76(2021).
DOI:10.1126/science.abg9853

(3) M. Bachmann., C. Zibunas, J. Hartmann, V. Tulus, S. Suh, G. Guillen-Gosalbez, A. Bardow. Towards circular plastics within planetary boundaries. Nat Sustain 6, 599–610 (2023). https://doi.org/10.1038/s41893-022-01054-9


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