Dossiers - Chemikalienregulierung
Wissenschaftlich fundierte Regulierung für eine nachhaltige Zukunft
Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind chemische Verbindungen, die aufgrund ihrer einzigartigen Kombination verschiedener Eigenschaften in zahlreichen Produkten Verwendung finden. Die chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz setzt sich für eine sichere Nutzung sowie eine wissenschaftsbasierte Regulierung dieser Stoffe ein.
06.12.2024
PFAS, die Abkürzung steht für Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, stellen ein Universum an chemischen Stoffen dar. Dazu gehören Perfluoroctansäuren (PFOA), Perfluorosulfonsäuren (PFOS), Perfluorononansäuren (PFNA) sowie zahlreiche weitere Substanzen. Technisch genutzt werden allerdings nur einige hundert unterschiedliche Stoffe, die der gängigen PFAS-Definition entsprechen – viele davon sind in der Schweiz auch bereits reguliert.
Den essenziellen Einsatz in der modernen Industrie verdanken speziell die Fluorpolymere, ihren spezifischen Eigenschaften: Sie widerstehen hohen Temperaturen, hohem Druck, tiefem pH-Werten und halten anderen extremen Bedingungen stand, unter denen chemische Prozesse vielfach stattfinden. Daneben sind sie dank ihrer tiefen Oberflächenspannung wasser-, öl- sowie schmutzabweisend. Fluorpolymere stellen wichtige Werkstoffe in industriellen Prozessen der chemisch-pharmazeutischen Industrie dar, weil sie diese Eigenschaften gleichzeitig haben.
Unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens
Von der Reduktion von Reibung in mechanischen Teilen bis hin zur Verlängerung der Lebensdauer von Produkten: PFAS sind heutzutage in Dichtungen, Computer-Chips, Solarzellen, Gebäudedichtungen, Diagnostik sowie naturwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung unverzichtbar. Durch die Verwendung dieser Werkstoffe wird aber auch der Schutz von Produkten, z.B. von Medikamenten, vor Veränderungen durch Umgebungseinflüsse sichergestellt.
Neben dem Einsatz in der chemischen und technischen Industrie finden PFAS auch Verwendung in den unterschiedlichsten Bereichen des täglichen Lebens mit hohem Nutzen. Ob bei der Funktionskleidung Feuerwehreinsatzkräften, bei Schäumen für Brandlöschungen oder in der Medizinaltechnik zur Beschichtung von dünnen Spritzen für Säuglinge – viele unscheinbare, aber essenzielle Anwendungen für Leib und Leben kommen nicht ohne PFAS aus.
Kernelement der Energiewende
PFAS spielen auch eine Schlüsselrolle in der Energiewende: Sie sind integraler Bestandteil von Photovoltaikanlagen, Batteriespeichern und Windturbinen. Nur dank dieser Werkstoffe funktionieren die Hochleistungsakkumulatoren in Elektroautos und E-Bikes und nur dank ihnen widerstehen Solarpanels den Witterungseinflüssen ausreichend lang, respektive liefern mehr Energie als ihre Produktion zuvor benötigt hat.
In Schweizer Wohnhäusern ermöglichen PFAS den effizienten Wärmetransport in aktuell verwendeten Wärmepumpen, womit sie zur nachhaltigen Energieversorgung beitragen. Zudem helfen PFAS den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und das Abfallaufkommen zu senken. Dank ihrer hohen Widerstandsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen verlängern sie die Lebenszyklen vieler Produkte und ermöglichen Konsumentinnen und Konsumenten eine längere Nutzungsdauer.
«Forever chemicals» – oder doch nicht?
Die Beständigkeit dieser Gruppe an chemischen Verbindungen, die für die Verwendung in technischen Prozessen und Produkten erwünscht ist, kann bei einer Freisetzung in die Umwelt als problematisch betrachtet werden. PFAS werden oft als "forever chemicals" bezeichnet, da sie wasserlöslich sind und in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut werden. Dies kann langfristig zu einer Anreicherung in der Umwelt führen.
Allerdings ist PFAS nicht gleich PFAS: Die Stoffe können sich stark voneinander unterscheiden und haben unterschiedliche Eigenschaften. So sind zum Beispiel Wirkstoffe von Medikamenten, die der PFAS-Definition entsprechen, sehr wohl abbaubar. Auch können die Auswirkungen von Fluorpolymeren auf Mensch und Umwelt im Vergleich zu alternativen Chemikalien als niedrig eingestuft werden.
Medialer Fokus auf Lebensmittel in St. Gallen
Im Sommer ist eine kleine Gruppe von PFAS, die seit Februar 2024 in der Lebensmittelgesetzgebung mittels Grenzwerten geregelt ist, in den medialen Fokus geraten. Ende August 2024 hat der Kanton St. Gallen bekannt gegeben, dass Fleisch von bestimmten Landwirtschaftsbetrieben zurzeit nicht in den Verkauf gelangen darf. Dies, weil die neu geltenden Grenzwerte überschritten wurden.
Es stellen sich in diesem Zusammenhang eine Reihe von Fragen, die zu beantworten sind. Dazu gehört insbesondere die Frage, wie die nachgewiesenen Substanzen genau in das Fleisch gelangt sind. Der Kanton St. Gallen vermutet offenbar, dass die Stoffe über – bis 2006 zulässig – ausgebrachten Klärschlamm und dann über das dort produzierte Futter in die Tiere fand. Gesichert ist diese Vermutung allerdings nicht. Unabhängig von diesem konkreten Fall muss sich die Gesellschaft mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit allfälligen weiteren Fällen in einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung umgehen will.
Suche nach Lösungen und Alternativen
Die Suche nach alternativen Stoffen, welche die einzigartige Kombination an Eigenschaften und ein vergleichsweise tiefes Gefahrenpotential aufweisen, läuft auf Hochtouren. Dies gestaltet sich in vielen Bereichen aber schwierig und wird auch einige Zeit benötigen. Auch ist dies ein aktueller Forschungsbereich der chemisch-pharmazeutischen Industrie und weiteren Wirtschaftsbranchen.
Die Industrie nimmt ihre Verantwortung wahr: So investiert sie grosse finanzielle und personelle Ressourcen, um anerkannte Problemfälle von Freisetzungen in die Umwelt anzugehen. Verschiedene Mitgliedsunternehmen von scienceindustries in der PFAS-spezifischen Altlastensanierung leisten den grössten Teil der Finanzierung. Dies selbst wenn die Verschmutzung eines Brandübungsplatzes auch auf die Mitnutzung auf die örtliche Betriebsfeuerwehr sowie zahlreichen Orts- und Stützpunktfeuerwehren aus der ganzen Schweiz zurückgeht.
Entwicklung neuer Technologien
Andere Mitgliedsunternehmen sind in der Entwicklung von neuen Technologien engagiert. Dazu gehört beispielsweise die Säuberung kontaminierter Wasserkompartimente. Dank Forschung und Innovation der scienceindustries-Mitgliedsunternehmen können durch die Gesellschaft zu verantwortende Altlasten zunehmend besser eingegrenzt und effektiv saniert werden.
Untersuchungen wie beispielsweise die der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA und des New York Department of Environmental Conservation zeigen zudem: PFAS-Chemikalien können durch eine ordnungsgemässe Aufarbeitung und Abfallentsorgung zerstört werden. Potenzielle Probleme am Ende des Lebenszyklus können somit gemindert werden.
Güterabwägung und gezielte Regulierung elementar
Was bedeutet all dies mit Blick auf die künftige Regulierung? PFAS sind ein breites Spektrum an Chemikalien. Teils sind PFAS wasserlöslich und toxisch, weshalb Regulierungsbehörden weltweit gefordert sind, Mensch und Umwelt zu schützen. Die Regulierung von PFAS erfordert eine präzise Definition sowie eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile.
So hat die EU-Kommission am 19. September 2024 beschlossen, eine Klasse von PFAS, die sogenannten Perfluorhexansäuren (PFHxS, englischPFHxA) einer Beschränkung unter dem Chemikalienrecht REACH zu unterstellen[1]. Dazu wird die Verwendung dieser einen Stoffklasse bei einer abschliessenden Liste von Produkteklassen[2] und einem sehr tiefen Grenzwert faktisch verboten. Dies erfolgt, nachdem die EU-Kommission bei diesen Anwendungen zu Schluss kommt, dass der gesellschaftliche Nutzen dieser Verwendungen die möglichen Gefahren nicht überwiegt. Diese Güterabwägung erachten wir als essenzielle Voraussetzung, bevor Einschränkungen und Verbote in Kraft gesetzt werden.
Politische Diskussion in der Schweiz begrüsst
In der Schweiz wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse zu PFAS lanciert. Zwei davon, erachten wir als ausserordentlich wichtig und haben deren Annahme durch beide Kammern aktiv unterstützt. Es handelt sich dabei um die Motion Maret (22.3929) und das Postulat Moser (22.4585). Mit dem Postulat Moser beauftragte das Parlament den Bundesrat, die Grundlagen für eine risikobasierte Regulierung zu schaffen, die relevanten Verwendungen, möglichen Emissionswege und allfällige Alternativen zu PFAS zu identifizieren.
Die Motion Maret beauftragt den Bundesrat, im Bereich Abfälle und Altlasten Grenzwerte festzulegen. Diese sollen einerseits gesellschaftlichen Gesundheitsbedürfnissen gerecht werden und andererseits die Umweltbedingungen und die Umsetzbarkeit berücksichtigen. Beide Instrumente sind komplex in der Aufgabenstellung und aufwendig in der Abarbeitung.
Chemisch-pharmazeutische Industrie ist Teil der Lösung
Die chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz ist überzeugt, relevante Beiträge zu beiden Parlamentsaufträgen leisten zu können und Teil der Lösung zu sein. Durch verantwortungsvolle Produktion und Nutzung von PFAS können sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Bevölkerung geschützt werden und gleichzeitig der Nutzen zugunsten anderer wichtiger gesellschaftlicher Ziele bestmöglich ausgeschöpft werden – wie der CO2-Ausstossreduktion, einer erneuerbaren Energieversorgung sowie der Schonung natürlicher Ressourcen durch langlebige Produkte.
Aktuell sind PFAS unverzichtbare Chemikalien für die moderne Gesellschaft und ein wichtiges Kernelement in unzähligen Lebensbereichen. Eine wissenschaftlich fundierte und pragmatische Regulierung ist deshalb entscheidend, um die Vorteile dieser Stoffe weiterhin nutzen und gleichzeitig Mensch und Umwelt schützen zu können. Die chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz ist bereit, diese Herausforderung anzunehmen und in enger Zusammenarbeit mit Behörden und Zivilgesellschaft an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten.
[2] Betroffene Anwendungsbereiche sind:
(a) textiles, leather, furs and hides in clothing and related accessories for the general public;
(b) footwear for the general public;
(c) paper and cardboard used as food contact materials
(d) mixtures for the general public;
(e) cosmetic products